Durch immer kargere Gegenden fahren wir am Pazifik lang zur Atacama. Am Ende hatten nicht mal die Wüsten-Spezialisten eine Chance.
Nichts. Auch wenn da Hügel sind und Steine und Sand in vielen Farben von grau über gelb und braun und rot bis grün. Trotzdem passt das „Nichts“. Nichts deutet hier auf Leben hin: keine noch so kleine Pflanze, kein tierischer Laut, nur flimmernde Luft. Der südliche Teil der riesigen Atacama-Wüste (knapp sechsmal so groß wie Sachsen) beschwört zugleich bedrückende und begeisterte Gefühle herauf, von Leere, Weite, Verloren- und Freisein. Auch das Staunen kommt nicht zu kurz, wie über die vielen Erdfarben, über die tiefe Stille, die nur vom Wind angekratzt wird. Und alle paar Kilometer sieht die Wüste wieder ganz anders aus, vor allem nahe der Küste. Auf der Ruta 5 Norte, nur 30 Kilometer vom Pazifik weg aber schon auf 2.200 Metern Höhe, erscheint sie wie wir uns einen lebensfeindlichen Planeten vorstellen. Dagegen zeigen sich unten an den schroff vom Meer aufsteigenden Hängen zwischen Sandflächen oder bizarr geformten Felsen immer noch mal vereinzelte Kakteen.
Erstaunlicherweise begegnet uns bei unseren kleinen Wanderungen dort ziemlich viel Leben, nicht nur die überall huschenden Eidechsen. Da stapft ein Guanako an uns vorbei und knabbert zwischen riesigen Nadeln die Blüten von den Kakteen. In der Ferne grasen wilde Esel, wo es gar kein Gras gibt. Einmal sehen wir sogar Füchse, die hier Mäuse jagen. Uns bleibt es ein Rätsel, wie diese Tiere hier überleben können, in der trockensten Wüste der Erde. Vielleicht ist es auch das viele Wasser des Pazifik auf der einen Seite der Straße und die scheinbare Lebensfeindlichkeit auf der anderen, was so fasziniert. Oder ist es das Gefühl, nun wirklich weit gereist zu sein, wo es doch bei uns keine Wüste gibt? Trotz manchmal beklemmender Gedanken sind wir schwer beeindruckt. Dabei haben wir die große Wüste nur angekratzt. Bald fahren wir nach San Pedro de Atacama, kurz vor der Grenze zu Bolivien und richtig hinein ins Herz der Wüste.
Aber jetzt sehen wir noch den Pazifik. Manchmal wird ja auch der Ozean als Wasserwüste beschrieben, weil es auf die Fläche gesehen eher wenig Leben gibt. Aber da, wo es ist, ist es üppig, vor allem ganz dicht an der Atacama. Da fliegen Pelikane, Möwen und Geier, dort picken Austernfischer im Sand und zwischen Felsen stoßen Kormorane ins Wasser hinab. Fischerboote und Angler sind unterwegs, Seelöwen jagen dicht an der Küste nach Fischen. Das viele Leben in und am Wasser macht das knochentrockene Land noch absurder. Daher genießen wir die Küstenstraßen, wo sich Augen und Sinne von der Atacama auf der blauen Fläche des Pazifiks und den an Steine und Strände stürmenden Wellen erholen können.
Das ozeanische Highlight erleben wir in Caleta Chañaral de Aceituno, aber auf einem kleinen Boot ein paar Kilometer vom Strand weg, als jeweils nur ein paar Meter rechts und links von uns riesige graue Rücken die Oberfläche durchbrechen: Finnwale. Die beiden Riesen (bis 20 Meter lang und fast 50 Tonnen schwer) treiben wie schwerelos kurz unter der Oberfläche und tun sich am Krill gütlich, der hier jetzt in Massen auftritt. Vom Boot aus sehen wir die Tiere als blau-weiße Schatten durchs Wasser gleiten, bis sie kurz auftauchen um Luft zu holen. Zwar zeigt sich keine Fluke, weil die Tiere nicht tief hinabtauchen und auch kein aus den Wellen springender Wal wird auf die gezückten Handys gebannt (die Springer sind meist Buckelwale), aber es ist ein erfüllendes und erhabenes Gefühl, das uns ob der schieren Größe und gelassenen Fortbewegung der riesigen Tiere überkommt. Insgesamt sehen wir in den zwei Stunden Tour vier Finnwale. Die entschädigen problemlos dafür, dass sich auf der Rückfahrt an einer Insel lang keiner der dort lebenden Humboldt-Pinguine zeigt. Mit dem Gebrüll von einer Seelöwenkolonie kehren wir zurück an Land und zur Atacama.
Dort, wo jetzt die Sonne über Sand und Kies flirrende Flächen wirft, die wie Wasser aussehen, war mal üppiges Leben – und reales Wasser. Am Ende eines zerfahrenen Sandweges liegt auf einem Hügel eine Dreierreihe gigantischer, Furcht einflößender Haifischzähne, jeder so groß wie eine Hand. Mit denen hat ein Megalodon große Fische und Wale gejagt. Der Raubfisch mit dem tödlichen Gebiss und 15 Metern Länge ist vor acht Millionen Jahren dort gestorben und versteinert. Forscher haben da noch mehr Tiere ausgebuddelt, wo vor Urzeiten ein flaches Meer war. Da tummelten sich große Krokodile, fast wie heute aussehende Pinguine, Delfine und Fische. Auch versteinerte Holzstücke vom Ufer des längst verschwundenen Meere liegen an einem liebevoll gestalteten Fossiliengarten mit Rundweg. Wir gönnen uns noch den restlichen Schluck, inzwischen mehr als lauwarm gewordenen Wassers aus der Trinkflasche und stapfen durch den heißen Sand zurück ins ordentlich aufgeheizte Auto. Jetzt freuen wir uns auf eine kühle Brise, wenn wir zurück auf der Uferstraße sind. Noch können wir es uns nicht so richtig vorstellen, richtig tief hinein zu reisen, in die besonders trockene Wüste. Aber wir sind sehr gespannt und freuen uns drauf.
Ein Kommentar
Hallo ihr Zwei, als wir vor Jahren in der Region Atacama waren, kam ich danach als Kakteenliebhaber zurück. Es ist schon erstaunlich was es an Vegetation in Regionen gibt, in denen es kaum regnet.
Danke für die herrlichen Berichte, vieles von euren Stationen ist bekannt und weckt die Erinnerungen.
LG