Südperu. Eine dreitägige Wanderung im Colca Canyon wird zum anstrengenden und zugleich wohltuenden Erlebnis.
Unsere Augen können sich kaum satt sehen. Nach drei Wochen auf Tour durch die meist trostlose Wüste laufen wir plötzlich durch üppiges Grün, blühende Wiesen und steile Terrassen voller Bäume, Mais oder Kartoffeln. Der Kontrast zwischen dem Colca Canyon in Südperu und der Atacama ist so krass und plötzlich, dass wir es kaum glauben können. Es ist erstaunlich, wie schnell in den kargen Gegenden das Bedürfnis nach wenigstens einem Schatten spendenden Baum oder einem richtig grünen Flecken aufkommt. Hier, mitten zwischen üppigen Pflanzen, können wir noch viel weniger nachvollziehen, wie Menschen in der Wüste leben können. Allerdings haben wir auch Glück, denn die Regenzeit ist hier gerade erst vorbei. In ein paar Wochen ist das meiste Grün hier an den Hängen wieder vertrocknet und die Gegend sieht dann wieder gelb aus, versichert uns Marcello. Er ist für drei Tage unser Wanderführer.
Das Abenteuer Canyon beginnt in Arequipa mit der Suche nach einem Anbieter für die Wandertour. Dabei gibt es Dutzende Agenturen im Zentrum. Aber unser Reiseführer warnt uns vor den Meisten. Denn die verschieben die Kunden nur zu größeren Anbietern, die dann mit großen Gruppen losziehen. In einer Seitenstraße finden wir Pablo Tours, der ohne die schreiend bunten Werbetafeln auskommt. Edwin, der Besitzer, informiert uns ausführlich über sein recht teures Angebot, das er „Treck not Classic“ nennt, also die alternative Route. Höchstens sechs Leute sind mit ausgebildetem Guide auf Strecken unterwegs, auf denen weniger Leute laufen. Das hört sich doch gut an. Nur der hohe Preis… Nach einer Nacht drüber schlafen sagen wir zu und erfahren, dass wir beiden die einzigen sind, die Marcello durch die Gegend führt. Wieder Glück gehabt.
3:30 Uhr am übernächsten Tag klingelt also ein Mann Mitte 40 am Hotel und stellt sich als Marcello vor. Im Minibus gurken wir stundenlang durch die dunklen Berge Südperus, dabei über einen Pass auf mehr als 4.800 Meter Höhe bei -15 Grad. In einem Dorf halten wir zum Frühstück. Auf dem Buffet steht auch ein Glas mit Cocablättern, die hier als Tee oder gekaut als Medizin gegen die Höhenkrankheit helfen (sollen). Wir greifen zu und bleiben von Kopfschmerzen verschont. Nächster Stopp ist das Cruz del Condor. Es ist eine der Stellen, an denen der Canyon so eng ist, dass die Aufwinde von den majestätischen Geiern mit bis zu 3,50 Metern Flügelspannweite und 15 Kilo Gewicht nach oben tragen. Diesmal verlässt uns das Glück mal kurz: kein Condor zeigt sich. Angeblich ist dieser Morgen zu kalt für die nötigen Aufwinde. Dass Marcello erzählt, hier einmal 25 der Vögel auf einmal gesehen zu haben, hilft uns da auch nicht viel weiter. So schauen wir ein paar Adlern zu, denen der Aufwind offenbar reicht.
Ein Stück weiter, im Dorf Cabanaconde, starten wir dann unsere Wandertour – und sehen dann doch noch einen Condor über uns. Kurz hinterm Dorf geht das Staunen über die üppig grüne und bunte Landschaft dann los: Wiesen voller Blumen, Bienen und Schmetterlinge, blühende Kakteen am Wegesrand und eine Frau in traditioneller Andenkleidung, die ihre kleine Herde von geschmückten Alpacas und Lamas grasen lässt. Mit solcher Pflanzenpracht haben wir einfach nicht gerechnet. Auch nicht so richtig gerechnet haben wir mit der doch heftigen Strecke. Die auf einer gemalten Karte gezeigt zu kriegen, bereitet einen doch nicht so ganz auf die Realität vor. Wir sind gut sechs Stunden unterwegs, klettern auf den elf Kilometern in praller Sonne 1.772 Meter steil runter und 592 hoch. Uff. Als wir an der Herberge direkt am Colca-Fluss ankommen, sind wir mehr als rechtschaffen geschafft. Aber unterwegs gab es so viel zu sehen und zu bestaunen, von mitten in Wiesen stehenden Kakteen und faustgroßen Kolibris bis zu schroffen Basaltfelsen und Wasserfällen, dass wir erst am Ziel die Kraftlosigkeit richtig merken. Und Marcello hat uns mit seinen vielen Erklärungen zu Fauna und Flora gut abgelenkt. Daher versuchen wir auch, etwas fitter zu wirken als wir sind. Ob das gelingt? Jedenfalls bietet sich am Hostel im Örtchen Llahuar eine überraschende Möglichkeit zur Erholung: Nur durch ein 50 Zentimeter hohes Mäuerchen vom kalten Fluss getrennt liegen drei Becken mit Thermalwasser, 39 Grad warm. Das entspannt die Muskeln.
Am nächsten Morgen fühlen wir uns jedenfalls viel frischer. Um 7 brechen wir auf, um noch möglichst lange im Schatten der Berge zu laufen, die im Canyon bis zu 3.400 Meter steil über den Fluss hinausragen. So weit scheucht uns Marcello aber nicht hoch. Nach „nur“ 13 Kilometern mit 1.300 Metern hoch und 1.250 runter in fünfeinhalb Stunden wandern wir in Sangalle in die Lodge etwas oberhalb des Colcas ein, viel entspannter als am ersten Tag – Diesmal müssen wir nicht so tun, als wären wir noch ein bisschen fit. Als die Sonne so richtig knallt, sitzen wir im Schatten beim Mittagessen, können im Pool mit Wasser vom nahen Wasserfall baden und haben ein ziemlich großes Zimmer, dass sogar ein bisschen kühl ist. Wir haben mal wieder Glück gehabt. Auch in dieser Tagesetappe, auf der wir erneut einen Condor und Kolibris beobachten, durch zwei kleine Orte mit ihren einfachen Häusern und lebensprallen Gärten kommen, ist unser Programm gut gefüllt. Uns das Colcatal aus ganz verschiedenen Winkeln zeigen, viel über berauschende und heilsame Pflanzen in den Anden lernen und mit Marcello ganz locker über peruanische Lebensweisen erzählen, zeigt uns, dass das eine geführte Tour wertvoll macht. Unterwegs treffen wir ab und zu auch mal Wanderer, die wir aus dem Bus oder der ersten Übernachtung kennen. Wir begrüßen uns freudig wie alte Bekannte. So genießen wir alles in vollen Zügen.
Die Kante geben wir uns am nächsten Morgen. Im Stockdunklen pünktlich um 4 Uhr wartet Marcello schon vor der Tür unserer Hütte. Von da an geht’s bergauf. So schön der Colca Canyon ist, so hat er doch den Nachteil, dass wir wieder nach oben müssen, wo der Bus uns abholt. Von der gegenüberliegenden Hangseite haben wir den Zickzackweg an der fast senkrechten Wand schon gesehen. Aber was uns erwartet, wissen wir da noch nicht. Trotz heller Stirnlampen ist der Weg voller lockerer Steile oder zu über kletternder Felsen schwieriger zu begehen, als gedacht. Daran sind Leute wie wir Schuld, die in zunehmender Zahl den schönen Canyon sehen wollen. Deshalb klettern die Hostelbetreiber alle paar Tage mit Muli-Karavanen genau den Weg hoch zum Einkaufen oder müde Wanderer hochzubringen. Bei den vielen Hufen bleibt kein Weg ganz. Zudem müssen auf dem Weg alle 1-, 2- oder 3-Tageswander aus dem engen Tal raus. Das sind knackige 1.364 Meter hoch. Wir brauchen am Ende für die 5,6 Kilometer 3:15 Stunden, wofür uns Marcello lobt. In der App wird mit 5 Stunden gerechnet. Um das Lob zu relativieren sagt er uns seine Bestzeit von 1:15 Stunden und den Rekord der Einheimischen: 45 Minuten. Irrsinn.
So früh loszuziehen hat mehrere Vorteile: Trotz Stirnlampen sehen wir nicht, wie weit hoch es noch geht, es ist angenehm kühl und bis kurz vorm Sonnenaufgang sind wir ganz allein unterwegs. Auch da haben wir Glück. Als wir die eine größere Pause machen, fangen im Zwielicht gerade die Vögel an zu zwitschern. Herrlich. Die Sonne taucht die fernen Gipfel in goldenes Licht. Auch deswegen würde ich lieber sitzen bleiben 😉. Aber das geht nicht, denn: Ein Drittel haben wir noch vor uns. Dann überholen die ersten, sehr jungen Wanderer, aber ohne Gepäck. Kurz darauf drängen sich Mulis an uns vorbei, die es tragen. Die Blöße geben wir uns natürlich nicht. Andererseits hatte ich mir ja geschworen, keine Touren über 800 Höhenmeter am Stück zu machen, was Jeanettes Planungen in Patagonien erschwert haben. Aber auch da ging es schon höher, um zu zwei Vulkanen zu kommen. Die Wanderung aus dem Canyon toppt aber alle unsere bisherigen Bergtouren. Dabei können wir noch froh sein, dass keine Touren angeboten werden, etwa zehn Kilometer den Colca stromabwärts, denn da sind es vom Fluss steil hoch bis zu den Gipfeln 3.400 Höhenmeter, was den Grand Canyon (1.800 m) massig toppt.
Irgendwann stehen wir dann doch oben am Nationalpark-Eintrittskarten-Kontrollpunkt und klatschen uns erleichtert ab. Jetzt sind es noch 20 Minuten bis zum Frühstück – ich krieg da kaum was runter, so ausgelaugt bin ich. Jeanette isst ordentlich und kümmert sich um mich. Die 1,5 Stunden, bis uns der Bus abholt, reichen aber zu akklimatisieren. Das war es ja auch noch nicht, mit dem Programm. Als nächstes hält der Bus an Thermalquellen und ein Mittagessen in einer Art Halle aber mit sehr leckerem Buffet einheimischer Gerichte gibt es auch noch. Das wahre „Highlight“ der Tour ist mit 4.910 Metern höher als der Mount Blanc (4.805). Im Gegensatz zu den Alpen wächst hier noch spärliches Gras. Schnee ist nur auf den um die 6.000 Meter hohen Vulkanen zu sehen. Pflicht für die Touris sind etwas weiter unten auch die Herden von Alpacas und Lamas, die in einer üppig grünen Senke grasen. Im Hostal merken wir schon unsere Waden auf dem Weg in die dritte Etage. Aber noch eine höher zur Dachterrasse zu klettern, um auf die super Tour anzustoßen, schaffen wir zum Glück noch.
2 Kommentare
Ihr seid Held*innen! Tausend Dank für die wunderbaren Bilder!😘
Tolle Fotos sind das. Im Colca Canyon waren wir auch schon und haben einige Condore aus der Nähe gesehen. Allerdings waren wir ganz entspannt mit Bus da. Und den Tee aus den Coca-Blättern haben wir natürlich auch probiert. Schöne Reise euch noch.
Liebe Grüße Frank und Heike.