Ein schwer zu findender Zeltplatz beschert uns eine unerwartete Begegnung mit einem Luxenburger, der in Hornopirén ein sehr ungewöhnliches Leben lebt und sich selbst als Zigeuner bezeichnet.
Der Kaffee ist fein genug gemahlen. Robert (weil, Chilene unbedingt mit zwei stark gerollten r lesen) ist zufrieden. Der Besitzer eines urigen Wald-Zeltplatzes in Hornopirén und zugleich Küchenchef, Kanuverleiher, Fahrradmonteur und überhaupt für alles zuständig, macht den Daumen hoch in Richtung eines sehr schlanken Mannes mit langen blonden Haaren und Bart – offensichtlich kein Einheimischer. Die eine Maschine, die der Chilene Robert bei all seinem Geschick nicht richtig eingestellt kriegt, ist eine uralte gusseiserne Hand-Getreidemühle schwedischer Herkunft. Hier im Café, das zugleich Rezeption ist und durch seinen herrlichen Blick auf einen Seitenarm des Pazifik besticht, in dem sich heute ein paar Seelöwen tummeln, dient das Gerät als Kaffeemühle und ist einfach unersetzlich. Der, der die Mühle aus Skandinavien beherrscht, ist Daniel aus Luxemburg.
Daniel kriegt natürlich schnell mit, dass wir zwei Zuschauer seiner Fähigkeiten deutsch sprechen und wechselt vom Spanischen ins Deutsche. Das macht für uns die Kommunikation natürlich viel leichter. Allerdings brauchen wir gar nicht viel reden, außer woher wir sind und wo wir lang reisen. Ansonsten übernimmt er das Erzählen – und das erstaunlich persönlich. Nach 20 Minuten wissen wir, dass er 17 Jahre lang als Einsiedler mit seiner chilenischen Frau und dem Sohn auf einer Insel ein paar Kilometer weiter draußen in Richtung Meer gelebt hat. „Das war ein extrem einfaches Leben“, sagt er und schildert das selbst gezimmerte Haus. Es lag eine halbe Stunde Bootsfahrt vom nächsten Nachbarn weg, mit dem er aber nichts zu tun haben wollte, er sagt nur „Inzest“. Jedenfalls änderte sich sein Leben von einem Tag auf den anderen, als sein Haus abbrennt. Statt ein Drama draus zu machen, sagt Daniel ohne jedes Bedauern und etwas erstaunt über unser Mitleid: „Damit ging einfach ein Abschnitt im Leben zu Ende. Da hatte ich einfach einen guten Grund, mein Leben zu ändern und was Neues anzufangen.“ Inzwischen ist er geschieden und hat im Örtchen Hornopirén angefangen, ganz große Pläne zu schmieden und sie umzusetzen. Die will er uns am nächsten Tag zeigen und lädt uns zu sich zum Kaffee ein. Aber das war es noch lange nicht mit Daniel an dem Tag. Aber zuerst machen wir noch was für uns.
Da der Zeltplatz im Wald liegt und nur zu Fuß zu erreichen ist, steht unser Campervan gleich außerhalb am Ende (oder Anfang?) des löchrigen Weges, in eine winzige Ausbuchtung bugsiert, so dass wir zwischen Weg, Büschen und Ufer campieren, aber mit herrlich freiem Blick auf den Pazifikarm. Hinterm Camper haben gerade so Campingtisch und Klappstühle Platz – mehr brauchen wir nicht. Wir haben uns mit Robert verabredet, damit er uns eins seiner Zweierkayaks ausleiht. Damit schippern wir ganz dekadent zum Einkaufen (mit Auto kann ja jeder). Allerdings klettern wir nach der Strecke parallel zu den Wellen ordentlich feucht aus dem Kahn. In der Sonne trocknet alles aber schnell. Zurück und wieder nass verstauen wir die Einkäufe im Auto und zerren das Boot bei Ebbe über den steinigen Strand.
Frisch umgezogen fallen wir wieder im Café ein. Robert steht mit Schürze am Herd und gießt Pudding auf einen Blaubeerkuchen. Bevor er unseren Wunsch nach einem frischen Kaffee überhaupt entgegen nehmen kann, steht Daniel mit einem dicken Buch vor uns. Er weiß ja, dass wir aus Dresden kommen und erläutert uns jetzt – sehr ausführlich – das Schicksal des kaiserlichen Kreuzers „Dresden“. Das deutsche Dampf-Kriegsschiff war zu Beginn des Ersten Weltkriegens in chilenischen Gewässern unterwegs, um die deutschen Ansprüche in Chile durchzusetzen (ab 1850 kamen sehr viele Aussiedler ins Land). Das Schiff dampfte auch in Gewässern ganz in der Nähe von Hornoprién herum, bevor es von Briten so sehr beschädigt wurde, dass die Besatzung es versenkte. Immer wieder berichtet Daniel von einem Mythos um einen angeblichen Schatz, den die „Dresden“ geladen hatte, um ihn vor den Briten in Sicherheit zu bringen. Er weiß auch mindestens zwei Orte, wo er über Bord geworfen worden sein soll. In seiner Begeisterung für das in Chile legendäre Kriegsschiff fällt ihm gar nicht auf, dass wir von der ganzen Geschichte gar keine Ahnung haben. Das macht er einfach mit noch mehr Details wett. Als wir alles wissen und wieder am Auto sind und gerade in die Schlafsäcke kriechen wollen, kommt er vorbeigefahren und erinnert uns noch einmal an seine Einladung.
Vor dem Besuch müssen wir aber noch unser Wanderpensum erfüllen, auch wenn es heute ein kleines ist – wir wollen ja möglichst viel von der tollen Umgebung erkunden. Zum Glück (wieder mal) sind wir mobil und fahren über Feldwege etliche Kilometer steil ein Tal hoch, immer den Schildern von „Cascadas de Rio Blanco“ nach, kleinen Wasserfällen am weißen Fluss. Die hätten wir ohne Auto weder erreicht, noch gefunden. Nach ein paar Stunden auf Achse rollen wir in Hornoprién ein. Das Haus von Daniel unweit der Uferpromenade finden wir sofort, wir hatten gleich daneben am Tag zuvor unsere Kayaks für die Einkaufstour ins Gras gelegt, noch nicht ahnend, dass wir in dem am Ende des Meeresarmes gelegenen Haus, wo der Rio Blanco mündet, bald jemanden kennen und Kaffee trinken würden.
Von Beruf ist der Luxemburger Möbeltischler. Dass er nicht nur mit Gusseisen umgehen kann, sehen wir gleich: Das mit Holzschindeln verkleidete Mini-Haus mit halbrundem Dach, dass an eien Zirkuswagen erinnert, ist natürlich selbst gezimmert. In dem vielleicht 40 Quadratmeter großen einzigen Raum stehen zwei Betten (seins und das des Sohnes), ist eine kleine Küche eingebaut und Regale ziehen sich um das Fenster mit Blick auf die Bucht. Warum er an die Stirnseite nicht auch ein Fenster mit Meerblick gebaut hat, wollen wir wissen. Als hätte er nur darauf gewartet, zückt er das Handy und zeigt uns Zeichnungen eines Planungsprogramms von zwei weiteren, L-förmig angeordneten Häusern, die er auf dem kleinen Grundstück noch bauen will. Damit sind seine Pläne aber noch lange nicht erschöpft. Der Clou ist ein eher langweiliger Flachbau im etwas höher gelegenen Nebengrundstück. „Ich hab meinen Nachbarn so lange beschwatzt, bis er es mir samt Grund verkauft hat. Er zückt den Schlüssel und führt uns in den Bungalow mit riesigen Fenstern – natürlich geht der Blick aufs Wasser und auf die gerade ankommenden Autofähre von Caleta Gonzalo, mit der wir in einer Nachtfahrt auch das fehlende Stück der Carreterra Austral überwunden haben. Das Haus will er etwas herrichten und an wohlhabende Chilenen aus den Städten im Norden für ordentlich Geld vermieten, die im Sommer vor der Hitze fliehen und hier Ferien machen. Mit den Einnahmen, will er noch ein paar solcher Cabanas zum Vermieten ans Ufer bauen und sein eigenes Hausbau fínanzieren. Wie wünschen ihm viel Glück dabei und sind nicht ganz sicher, ob all seine Pläne aufgehen.
Seine ganzen Bauten stehen auf nicht sehr amtlichen Füßen. Beim Schlürfen des starken Espresso gewährt uns der Europäer einen kleinen Blick in die merkwürdigen Abläufe von Grundstücksaneignungen und Hausbaugenehmigungen. Schon was für ein Grundstück er hat, verwundert uns. Diese Lage zwischen Uferstraße und Wasser ist zu fantastisch für jemanden fast ohne Geld. „Ganz einfach“, sagt Daniel, „ich hab es mir genommen.“ Wie genommen? „Na einfach besetzt.“ In Chile untersteht der letzte Streifen Land vor Meeresarmen der Marine, also dem Staat. „Und der schert sich kaum darum.“ Wie angeblich viele Bauten am Wasser hat er einfach ein Haus hingesetzt, Wasser und Strom (mit eigenen Zählern) vom Nachbarn abgezweigt. Angeblich leben so Dutzende Menschen in jeden Küstenort. Dann zeigt er uns stolz ein amtliches Dokument mit einigen Stempeln: die Bestätigung der Gemeinde, dass er sein Haus illegal errichtet hat. Daraufhin war er beim Bürgermeister der ihm gesagt hat, dass er vertrieben werden könnte, aber nur von der Marine, die sich aber gar nicht zuckt. So stellt er sich mit den Fischern gut, die ihre Boote vor seinem Haus liegen haben und ab und an mal Kaffee oder Strom brauchen und geht davon aus, dass ihm nichts passiert, zumindest nicht, solange sein Sohn minderjährig ist. „und danach findet sich ein Weg.“
Unser Weg führt uns für eine letzte Nacht zurück vor den schönen Campingplatz, bevor wir am nächsten Morgen weiter gen Norden ziehen wollen. Vielleicht will uns Daniel im Herbst besuchen kommen, wenn er in Europa ist. Solange wollen wir versuchen, über Whatsapp Kontakt zu halten, also auf ganz chilenischen Art.
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