Montag, der Nationalpark hat zu – und für Dienstag kriegen wir keine Tickets. Kurz vor unserer Verzweiflung hilft uns die Chefin des Zeltplatzes viel mehr als nur aus der Patsche.
Die Entscheidung für die kommende Nacht fällt schnell. Wir fahren den Campingplatz „Los Pioneros“ an, weil er WLAN hat. Das brauchen wir, um uns für den Parque National Conquillo anzumelden. Die Tickets kann man nur online kaufen. Das bestätigt uns auch die Frau, die den Zeltplatz im Städtchen Melipeuco leitet. Da wir dort am nächsten Tag eine 8-Kilometer-Wanderrunde über einen berühmten Aussichtsfelsen drehen wollen, brauchen wir die Tickets. Aber, das ist leichter gesagt als getan. Ich finde zwar schon beim zweiten Versuch das Passwort, das uns die Welt zum Ticketshop aller chilenischer Nationalparks öffnet. Aber mit dem Datum Dienstag kommt eine rot leuchtende Fehlermeldung für „unseren“ Park: „Keine Tickets!“ steht da. Wie jetzt, keine Tickets? Eine Person statt zwei, eine andere Altersgruppe, was immer wir versuchen: keine Tickets. Erst für den Mittwoch leuchtet es wieder grün, da gibt es noch fast 500 Karten. Offenbar sind für morgen alle schon weg. What the f… Wir sind extra für die Runde im Nationalpark den weiten Weg tief rein in dieses Andental gefahren. Und jetzt? Doch erst übermorgen für stolze 26 Euro Eintritt eine kleine Wanderung machen? Oder weiterfahren? Nein, das geht nicht. Zum einen müssten wir das ganze Tal wieder zurück fahren, weil es über die Berge ins nächste Tal keine Straße gibt. Zum anderen ist es schon fast dunkel und wir haben bereits für eine Nacht bezahlt. Also bleiben wir. Und dann?
Jeanette will das mit dem roten Fehler aber nicht einsehen. Vielleicht geht ihr auch mein Gejammer von den umsonst hergefahrenen 80 Kilometern auf den Wecker. Jedenfalls stapft sie los zur Rezeption. Vielleicht gibt es ja einen Trick mit der Anmeldung? Kurz darauf kommt Jeanette eiligen Schrittes zurück. „Sie will uns was in Englisch erklären, komm mal mit.“ Sie hat gefragt, was man ohne Nationalpark hier in der Gegend noch machen kann. Das Englische ist zwar der Google-Übersetzer aus dem Spanischen und daher verständlich, aber wir begreifen trotzdem nicht, was die Zeltplatzchefin uns da sagen will. Dann brummelt sie was in Spanisch, schnappt sich ein A-3-Blatt und fängt an, darauf zu kritzeln. In einer Sprache, die man „Spanglisch“ nennen könnte, erklärt sie in rasantem Tempo, was sie da malt. Was wir davon verstehen und uns anhand der Karte zusammenreimen ist folgendes:„Da gibt es so viel zu tun, ihr könnt in Richtung argentinischer Grenze fahren, nach der zweiten Brücke links abbiegen und dann habt ihr nach 10 Minuten die Wasserfälle erreicht. Dann dreht ihr um, biegt links ab, fahrt am Lavafeld vorbei und die übernächste Straße rechts rein. 20 Kilometer weiter ist ein Parkplatz und von dort startet der Wanderweg zum Sollipulli-Gletscher. Und dafür braucht ihr nicht zu bezahlen und euch nicht anmelden.“ Okay. Wo ist das alles? Und ganz ohne Anmeldung? So richtig überzeugt sind wir nicht. Aber das behalten wir für uns.
Sie ist ja auch noch lange nicht fertig und malt weiter mit großen Schwüngen auf dem großen Blatt, eine Autorundfahrt „für einen neuen Tag“ um den gesamten Nationalpark auf, die sei sehr schön. Unsere Zweifel werden nicht kleiner, denn im Reiseführer haben wir die Runde auch schon entdeckt, allerdings mit dem Zusatz: schwer zu befahren. Ob das mit unserem nicht sonderlich PS-starken Zweiradantriebscampervan auch geht, fragen wir? „Aber klar doch, kein Problem.“ Da fallen mir die chilenischen Kleinwagen ein, die mich, der ich nicht der vorsichtigste Schotterpistenfahrer bin, trotzdem mit lautem Geklapper rasant überholt haben, egal ob Schlaglöcher, Querrillen oder Sandpassagen. Wir sagen freudig Ja und danke und haben endlich mal wieder eine handgemalte Wanderkarte in der Hand, wie schon 2013. Unsere Einwände, dass uns die Zeltplatzchefin doch auch auf der App zeigen kann, wohin es geht, wischt sie mit einer forschen Handbewegung weg und lässt den Kuli übers Papier sausen. Zwischendurch schaut sie aber immer wieder auf ihrem Laptop nach, wo welche Straße abbiegt. So vermischen sich alte und neue Zeiten aufs Beste.
Unsere Zweifel reden wir uns zurück am Auto gegenseitig aus und wollen es am nächsten Morgen mit dem Vulkan Sollipulli (ausgesprochen Sojipuji) und seinem Gletscher probieren, von dem wir zuvor noch nie gehört oder gelesen haben, den wir aber in der App entdecken. Gesagt, getan. Bei blauem Himmel Sonnenschein starten wir zu den Kaskaden, gucken uns das Lavafeld eines anderen Vulkans rechts und links der Straße an und biegen auf die Schotterpiste gen Sollipulli ab. Allein die Fahrt zum Start der Wanderung wird schon zum Abenteuer, als die Piste immer steiler, löchriger und sandiger wird. Mit dem ersten Gang und teilweise am Hang durchdrehenden Rädern komme ich gerade so hoch. Es ist wohl kein Zufall, dass auf dem Parkplatz außer unserem Van nur Allradfahrzeuge stehen. Aber wir haben es ja geschafft, wie es unsere Kartenzeichnerin gesagt hat. Wir tragen uns beim Ranger in ein Buch ein und stapfen los. Es wird ein schöner Weg, trotz der viel zu vielen Höhenmeter. Bei mehr als 800 wollte ich eigentlich streiken, jetzt sind es 1.100. Uff.
Zuerst durch schönen Araukarienwald mit geisterhaft im Wind wehenden Flechten führt der gut markierte Weg weiter über Lavafelder und immer steiler bergan. Das Ziel ist noch nicht in Sicht und die leichten Lavasteinchen rollen unter den Wandertretern weg, da erreichen wir zum Glück ein erstes Schneefeld. Das lässt uns hoffen und weiterstapfen. Nach fast drei Stunden und acht Kilometern lassen wir uns ganz oben auf glatt geschliffene, in der Sonne gewärmte schwarze Steine sinken. Wir sitzen doch tatsächlich am Kraterrand und sehen weiter unten, wo ein Kratersee sein müsste, das Eisfeld. Ringsum ragen steile Wände in bunten Steinfarben auf. Ein wirklich beeindruckender An- und Ausblick in 2.100 Meter überm Meer. Da hat uns die Zeltplatzchefin wirklich nicht zu viel versprochen. Manchmal sollte man eben seine Zweifel doch wegstecken und sich einfach mal auf so viel Enthusiasmus einlassen, wie ihn die Frau an den Tag gelegt hat, um uns Alternativen zum teuren Nationalpark zu bieten.
Oben, am Kraterrand, wir es im rauen Wind schnell kalt. Wir machen uns auf den Rückweg und sind beide froh, gerade diesen Weg gegangen zu sein, der nur als Notlösung gedacht war, aber ganz sicher viel attraktiver ist, als der im Wald mit einem Felsen im Park. Wir danken unserer Retterin vor der Verzweiflung in Gedanken noch einmal. Denn wieder unten im Tal auf der Asphaltstraße biegen wir nicht zu ihrem Zeltplatz ab, wie sie uns geraten hat, sondern in entgegengesetzter Richtung – der Treck muss weiterziehen. Aber auch das wird bald ausgebremst, von der Straße. Obwohl es der Hauptweg in der Region nach Argentinien ist, wird aus dem Asphalt viel zu bald eine Schotterstraße der schlimmsten Art. Die Querrillen sind unglaublich heftig, vermutlich wegen des vielen Verkehrs. Ich werde immer langsamer und verfalle beim Rütteln immer mehr ins Fluchen, vor allem, wenn die elenden Allradkisten an mit vorbei brettern, als würde ich still stehen. Noch bevor die nächsten möglichen Zeltplätze auch nur in der Nähe sind, streike ich. Mein Rücken schmerzt, ich bin müde und will ein kaltes Bier – dann darf ich eh keinen Meter mehr weiterfahren.
Am nächsten See biegen wir einfach links ab und fahren bis zu einer Stelle, wo die Straße breiter wird und wir nicht vor einer der ärmlichen Hütten stehen, in denen die Mapuche leben, die Ureinwohner der Region. Wir stören uns nicht an den Behausungen, gezimmert aus Ästen, Wellblech und Plastikfolie. Wir wollen die Bewohner nicht stören. An uns stören sie sich offenbar nicht. Ein paar kommen am Auto vorbei, neben dem wir am Klapptisch sitzen und grüßen freundlich. Der ruhige Platz am See unter einer mächtigen Araukarie versöhnt uns mit der elenden Piste, aber nicht mit dem Anblick der Hütten und der Mapuche in ihren verschlissenen Sachen. Das einst stolze Volk hat als einziges in Südamerika den Spaniern bis Ende des 19. Jahrhunderts Widerstand geleistet. Erst Krankheiten durch die vielen Siedler, Missionare und vor allem Alkohol haben jeden Widerstand gebrochen. In Chile zählen die Mapuche heute zu den Ärmsten. Aber uns Durchreisenden durch ihr klein gewordenes Stammland steht weder ein Urteil noch eine Verherrlichung der Menschen zu. Gedanken machen wir uns aber schon.
3 Kommentare
Liebe Jeanette, ich bewundere deine Geduld mit dem Mann , der auf Vulkanfeldern Badekappe trägt.
Lieber Jens, ich musste sehr über deine kleinen Anflüge schlechter Laune lachen. Doch am Ende des Tages könnt ihr anscheinend immer über beeindruckende Erlebnisse einschlafen.
Es ist schön, ein bisschen mit euch mitreisen zu können.
Hallo, Ihr 2 Verrückten
Ich bin ganz oft bei Euch und verfolge Eure wunderschönen Berichte. Schicke Euch gaaanz liebe Grüße aus der Oberlausitz und freu mich auf Euch im September (hoffentlich)
Fühlt Euch ganz lieb umarmt von Catrin…… und Onkel Frank
Hallo ihr fleißigen Wanderer, die Tour zum Sollipulli sah ja spektakulär aus. Trotzdem schade, dass der Nationalpark nicht geklappt hat. Wir waren drei Tage drin und fanden ihn sehr schön. Aber ihr müsst ja auch noch was übrig lassen für die nächste Reise 😉.
Gruß Katrin