Das Städtchen El Valle de Antón liegt in Panamas Bergen in einem erloschenen Vulkan. Die Hänge rings um den Krater sind ideal zum Wandern. Einer der Bergrücken sticht dabei besonders hervor, auch mit seiner legendären Form.
Die schwierigste Stelle ist das Kinn. Dort muss man sogar ein bisschen Klettern. Etwas außer Atem stehen wir dann auf der Nase und haben von hier oben eine herrliche Aussicht. Der Blick geht vom steil abfallenden Hang aus über ein weites, rundes Tal, dass vor drei Millionen Jahren ein Vulkanausbruch hinterlassen hat. In dem alten Krater liegt heute der Ort El Valle de Antón. Ringsum ragt der Kraterrand fast überall als steiler Hang auf, an dessen Kante es sich wunderbar wandern lässt. Da auf dem geschmolzenen Gestein kaum mehr als Gras wächst, ist die Sicht überall sehr gut. Aber auf der Nase, dem höchsten Punkt ringsum, ist sie einfach am beeindruckendsten.
Das Gesicht mit dem Kinn sieht man allerdings nur von unten aus. Es gehört zur „La India Dormida“, zur schlafenden Indianerin. Vom Platz vor der Kirche in El Valle aus, sehen wir uns den Hang eine Weile an. Dort hat uns der Chef unseres Hostels hingeschickt. Mit etwas gutem Willen ähnelt der Grat doch der einer auf dem Rücken liegenden Frau. Als wir uns das eingestehen, sehen wir einen Kopf, eine kleine Brust, einen Arm, den Bauch und die Beine. Solch eine Form beflügelt natürlich die Phantasie der Menschen. Und die hat die Erklärung für die ungewöhnliche Form geliefert, mit einer traurigen Liebesgeschichte.
Die Schlafende ist Luba (mit indianischem Namen „Luftblüte“), die jüngste Tochter des Indio-Häuplings Urraca vom Volk der Guaymi. Und Urraca ist der berühmteste Kämpfer gegen die spanischen Eroberer um 1510 im heutigen Panama. Die aufmüpfige Indianerprinzessin verliebt sich doch glatt in einen der Weißhäute, die ihr Volk niederringen wollen. Dagegen verschmäht sie die Liebe von Yaravi, dem – wie kann es anders sein – kühnsten Krieger ihres Stammes. Der ist über Lubas Zurückweisung so enttäuscht, dass er sich vor ihren Augen vom Kraterrand in den Tod stürzt. Das bringt die Prinzessin zumindest dazu, von dem Spanier zu lassen und über ihren Kummer weinend aus der Gegend wegzugehen. Am Ufer der Karibik ereilt sie dann der Tod. Allerdings blickt sie schon liegend im letzten Moment zurück zu den geliebten Bergen, in denen sie aufgewachsen ist. Die Berge wiederum sind von der traurigen Liebesgeschichte so gerührt, dass sie die Form der wie schlafend wirkenden Indianerin annehmen. So einfach ist das also.
Wir vereinfachen uns den Aufstieg zum Gratweg ein wenig und fahren mit einem Colectivo-Kleinbus bis zu einem Einschnitt im Hang hoch. Von dort aus wandern wir los und überqueren die schlafende Indianerin von den Füßen her über Bauch, Brust und Kinn bis zur Stirn. Da das Wetter besser als die Vorhersage ist, laufen wir sogar ab und an in der Sonne und rasten immer mal wieder am aussichtsreichen Hang. Allerdings sehen wir vom Kopf der Frau aus in der Ferne immer mehr und immer dunklere Wolken heranziehen. Wir halten die Mittagspause also kurz und machen uns auf den Abstieg in den Krater.
Der Weg führt jetzt steil durch den Wald herunter, in dem erstaunlich viele Vögel unterwegs sind, darunter auch ein großer Tukan – der lässt sich aber leider nicht fotografieren. Die Blätter der alten Bäume verdecken die Sicht auf die Wolken und wir gönnen uns an einem kleinen Wasserfall noch eine Rast. Als die ersten Donner durchs Tal grollen, sputen wir uns dann doch ein bisschen. Nach dreieinhalb Stunden kommen wir wieder im Hostel an und in dem Moment fallen die ersten dicken Tropfen auf das Blechdach. Das nennt man Timing zur Regenzeit.
Nachdem sich die Gewitterwolken ausgeregnet haben, schnappen wir uns zwei der zum Hostel gehörenden – und sich technisch in fragwürdigem Zustand befindenden – Fahrräder. Wir müssen fürs Abendessen einkaufen. Im Supermarkt finden wir eine Packung mit Zutaten für eine Paella, packen noch eine Tüte Meeresfrüchte und ein paar Feierabendbiere dazu und treten für den Rückweg wieder in die Pedale. Als wir vor einer Panderia noch einmal halten, um frisches (Weiß)Brot zu kaufen, wird mir auf einmal schwindelig. Als ich Jeanette das sage, geht es ihr ganz genauso. Was ist da los? Dann fallen uns die Gäste einer Pizzeria nebenan auf, die sich alle unter den Türsturz drängeln. Da schwant uns schon, was ein Blick auf die bedrohlich schwankenden Strommasten bestätigt: ein Erdbeben. Komisch fühlt es sich an, dass die Erde nicht zittert (wie wir es in Mexiko erlebt haben), sondern richtig schwankt, als würden wir bei Seegang auf einem Schiff stehen. Und dann wird uns bewusst, das wir ein Erdbeben mitten in einem Vulkankrater erleben. Nach zwei Minuten ist alles vorbei. Plötzlich steht eine alte Frau neben Jeanette und redet auf sie ein. Von dem Beben ist die Dame so erregt, dass sie unbedingt davon erzählen muss, und zufällig stehen wir da auf dem Fußweg rum. Sie fragt uns auch, ob wir das Beben mitgekriegt haben, in vor Aufregung rasantem Spanisch. Mit Halbsätzen, Gesten und Lachen bekommen wir das Gespräch hin. Jedenfalls verabschiedet sie sich erleichtert lächelnd und wir ziehen wieder unserer jeweiligen Wege.
Auch diese kleine Begegnung zeigt uns, dass es gut ist, Panama City trotz der Dauer-Regen-Vorhersage in Richtung Berge verlassen zu haben. Nicht nur die Temperaturen sind erträglicher und die Landschaft ist natürlicher. In der Hauptstadt strömen die Leute mehr oder weniger an einem vorbei, ohne Notiz zu nehmen. Hier in El Valle de Antón erleben wir wieder, was uns so an den Menschen in Zentralamerika gefällt: Fast jeder grüßt, oder winkt, oder fragt woher wir sind und wie es uns in Panama gefällt. Wir fühlen uns wohl hier, auch als Fremde. Jetzt sind wir gespannt, ob es sich in unserem nächsten Reiseland, in Kolumbien, auch so gut anfühlt.
Ein Kommentar
Hallo Ihr lieben, habt mal wieder für eine spannende Erdbebengutenachtgeschichte gesorgt😨. Gut dass noch Wasser in der Wanne war nach dem Beben. Gute Reise nach Kolumbien. 🙋