Auf etwas mühsamerem Weg als sonst haben wir in der kolumbianischen Kaffeeregion eine schöne und schön abgelegene Unterkunft gefunden, die uns Bohnen, Riesenpalmen und Kolibris näher gebracht hat.
Die Zusage kommt nach zwei Tagen. Wir haben ja auch ein ganz kleines Experiment gestartet, das kann dann eben etwas länger dauern. Auf der Buchungsplattform im Internet, wo wir uns normalerweise ein Zimmer direkt buchen, gibt es die Finca el Ocaso nicht. Von der Farm mit ein paar Räumen in einem alten Haus mitten zwischen Kaffeebäumen haben uns andere Reisende erzählt – und da wollen wir hin. Zumindest finden wir die Webseite der Farm und die vier Zimmer. Wir wählen das mit Namen „Borbón“ aus und drücken „Reservieren“. Statt der auf der Plattform üblichen sofortigen Bestätigung geht erst mal ein Fenster mit dem Hinweis auf, dass der Raum nach Senden einer E-Mail erst als reserviert gilt, wenn die gemailte Bestätigung kommt.
Am Ende des folgenden Tages haben wir Dank WIFI wieder Anschluss an die Netzwelt. Eine Nachricht von Ocaso ist aber immer noch nicht da. Wir fangen schon an, an dem Vorhaben zu zweifeln, mal wieder in der Natur und nahe bei den Leuten unterkommen zu wollen – Städte hatten wir in letzter Zeit reichlich. Wird es doch ein in zwei Minuten gebuchtes Hostel in der nahen Touristenstadt Salento? Da ploppt die Mail mit der Zusage auf. Also reisen wir von Medellin frohen Mutes nach Südosten. In el Ocaso zu wohnen, heißt zuerst einmal, nach acht anstrengenden Stunden Busfahrt in Salento noch einmal umzusteigen, in ein Willys. So steht es in der Bestätigungsmail drin: am Hauptplatz einen Willys nehmen. Was das genau bedeutet, sehen wir gleich, nachdem wir die letzten Straßenzüge zum Plaza Mayor hoch gewandert sind. Um ein kleines Kassenhäuschen stehen ganz unerwartete Autos. Nicht Taxis oder Pickups verbinden die Kaffee-Fincas mit der Stadt, sondern betagte Geländewagen, wie sie die US-Armee im Zweiten Weltkrieg auch in Deutschland nutzte. Nur sind die ein wenig länger und bieten zehn Mitfahrern Sitzplätze plus drei weitere zum Stehen hinten auf einer kleinen Plattform mit Festhalten am Dach.
Nach 20 Minuten Rüttelfahrt über steile, oft löchrige Wege stehen wir vor einem schicken, weiß-rot gestrichenen Flachbau in Kolonialzeitmanier. Jetzt erfahren wir auch, warum die Zimmer-Bestätigung zwei Tag gebraucht hat: Ein Team, dass einen Film über Kaffee drehen wollte, hatte alle Zimmer vorbestellt, dann aber wieder abgesagt. Vermutlich kommen wir dadurch in den Genuss von noch mehr Ruhe: drei der vier Nächte sind wir dort ganz alleine. Fast jedenfalls: Emilio liegt die ganze Nacht vor der Veranda. Der graue Mischlingshund mit den riesigen Augen passt wohl auf uns auf, und er begleitet uns beim ersten Erkundungsgang durch die unter Urwaldbäumen wachsenden Kaffeepflanzen. Die Vorarbeiter der Finca und eine Köchin wohnen in einem Haus ein paar Meter weg. Ansonsten hört man dort Vögel rufen und den Fluss rauschen. Wir sind wirklich in der Einsamkeit gelandet und genießen sie.
In der Finca zu wohnen, hat aber noch mehr Vorteile. Hier in den Bergen, wo es kühler ist, gibt es auch wieder warmes Wasser zum Duschen. Im eher warmen Flachland und auch in Medellin kommen die Kaltduscher voll auf ihre Kosten. Wir dagegen genießen hier die heißen Strahlen ausführlich. Zum Abkühlen holen wir uns lieber ein kühles Bier aus dem gut bestückten Kühlschrank in der Finca-Hotel-Küche. Das Frühstück am nächsten Morgen wird uns von einer Frau bereitet, die sich um die Zimmer kümmert, im Moment ein überschaubarer Job. Auch das Essen mit den unausweichlichen Eiern und Kaffee aus eigener Produktion ist im Zimmerpreis enthalten. Hier wäre es auch schwierig, mal fix in ein Restaurant zu laufen, das Frühstück anbietet. Statt dessen laufen wir ein Stück weiter rein ins Farmgelände zu einem Aussichtspunkt. Emilio begleitet uns, diesmal nur ein Stückchen und dreht dann um. Wir besehen uns die Kaffebäumchen genauer und versuchen rauszufinden, warum die hier wie im Wald stehen statt wie im Nachbartal vom Bus aus gesehen in Reih und Glied am kahlen Hang.
Ein paar Stunden später klärt uns Daniel auf. Wir lassen uns von ihm auf einer Dreistundentour in die Geheimnisse des Kaffees einweihen – die Tour ist auch im Preis drin. Zuerst müssen wir auf gut 1.800 Metern überm Meer auch ein paar der roten Beeren sammeln, in denen meiste zwei weiße Bohnen drin und von einem süßen Schleim umgeben sind. Dazu gibt’s die Erklärung, warum der Kaffee unter Bäumen und Bananenstauden wächst. Die Finca el Ocaso hat sich ökologischen Anbau auf die Fahnen geschrieben, sagt Daniel. Die Blätter der Bäume spenden Schatten, verlangsamen so das Wachstum und steigern damit die Qualität – und später dienen sie als natürlicher Dünger. Die Bananen und anderen Fruchtbäume liefern Essen für die Pflücker und Hotelgäste. Zudem hätten Experten gut 90 Vogelarten gezählt, die sich hier heimisch fühlen.
Mit einer Handkurbelmaschine trennen wir zurück auf der Farm die Bohnen von den Schalen – das Gerät hat ein Deutscher entwickelt, sagt Daniel anerkennend. Das Waschen, Trockenen, Sortieren und Rösten (letzteres erneut in deutscher Maschine) erklärt er in den Gebäuden mit den Apparaten. Der gelernte Automechaniker aus dem nahen Armenia hat sich jetzt dem Kaffee verschrieben und erklärt uns alles ausführlich. Spannend wird es dann im „Kaffee-Labor“, wo wir – von Schnupfen etwas behindert – Gerüche und Aromen erleben, mit denen Profis das Kaffeearoma beschreiben. Kosten dürfen wir natürlich auch, aber nur löffelweise, wieder ausspuckend und aufgefordert, die Geschmacksrichtungen auf ein Blatt aufzuschreiben. Einen aufwändig zubereiteten Ocaso-Kaffee gibt es zum Abschluss dann doch noch. Schade, dass wir nicht so viel von den dort produzierten Bohnen mitnehmen können, wegen des Rucksack-Gewichts. So ausführlich erlebt, schmeckt der Ocaso-Kaffee gleich noch viel besser.
Einen Nachteil hat die Finca aber doch: die Entfernung zur Stadt. In die müssen wir am Morgen, um das andere Highlight der Gegend erleben zu können. Also erbetteln wir von der Köchin ein frühes Frühstück, damit wir kurz vor sieben an der Straße stehen können. Kurz nach sieben kommt dann der Willys aus Armenia und nimmt uns die fünf Kilometer bergan mit nach Salento. Dort am Hauptplatz steigen wir in einen anderen Willys um, der in Richtung Valle de Cocora fährt. In diesem Tal erwartet uns eine mehr als sechsstündige Wanderung. Sie führt uns zum kolumbianischen Nationalbaum, der Wachspalme. Statt am Sandstrand wachsen die Teile auf 2.000 Meter Höhe wahrlich in den Himmel. Mit nur 40 Zentimeter Stammdurchmesser erreichen diese Palmen beachtliche 60 Meter Höhe. Unter solch einem Baum mit der wächserner Rinde kommt man sich echt winzig vor. Da sie normalerweise im Wald wachsen (aus dem jetzt meist Wiesen geworden sind), müssen die Bäume sich schnell ganz hoch strecken, um genug Licht zu kriegen.
Wir haben an dem Tag nicht ganz so viel Glück mit dem Licht: Wir passen gerade noch fliegende Edelsteine ab, im Casa de los Colibries. Dort schwirren an Behältern mit Zuckerwasser ganz viele schillernde Kolibris umher, die uns ganz nah an sich heran lassen. Ab Mittag regnet es immer wieder, ansonsten ist es neblig. Das hält uns unter relativ dichten Capes aber nicht davon ab, der Palmenwanderung noch eins drauf zu setzen und von Salento zurück zur Finca zu laufen. Dort warten die Dusche mit warmem Wasser, ein kaltes Bier uns dann wieder wärmendes Abendessen von der Finca-Köchin auf uns. Vor unserem Zimmer genießen wir in wärmende Jacken gehüllt erneut einen stillen Abend (bis auf Emilios Bellen und das Vogelgezwitscher). Wir hoffen, dass das an der nächsten Station der Reise ähnlich wird: Wir wollen nach dem vielen Wald und der feuchten Kühle in eine kleine Wüste in einem Tal hinter den Bergen fahren.
Ein Kommentar
Hallo Ihr Lieben, diesmal Regenwanderung immerhin ohne Donnerwetter. Die Landschaft ist ja phantastisch grün. Und nebendran Wüste?
LG c+s