In den Anden macht uns und unseren Lungen die Höhe überraschend zu schaffen. Als Überraschung gibt es ein unerwartetes Treffen.
Jeanette lacht immer wieder laut auf. Über Pleiten, Pech und Pannen bei Urlaubsreisen liest sie gerade ein Buch und amüsiert sich prächtig. Das ist auch einfach, weil uns auf dieser Reise bisher nichts wirklich schief gegangen ist. Auch jetzt ändert sich das kaum – bis auf meinen Zustand. Ich schrecke bei Ihrem Lachen kurz hoch und falle gleich wieder zurück in einen Dämmerschlaf, schwer atmend, denn das Luftholen ist schmerzhaft. Fast fünf Tage verschlafe ich mehr oder weniger in Bussen und Hostelbetten. Nach dem Colca Canyon haben wir gleich am nächsten Tag eine Tour zu Salzseen, Hochebenen und Thermalbädern gebucht, die bis auf 4.500 Meter hoch geht. Das haut mich dann ganz weg. Vom Rest der Busfahrt weiß ich nichts mehr.
Mit Kopfschmerzen und Übelkeit lege ich mich in Arequipa im Hostel gleich hin. In der Nacht kommt heftiger Durchfall auf, aber morgens bin ich fast wieder fit. Bevor am Nachmittag der Bus nach Puno fährt, haben wir noch Zeit, uns im Sonnenschein das Kloster Santa Catalina anzusehen, die „Stadt in der Stadt“. 1580 gegründet ist ein Teil der Altstadt zum Kloster geworden. Nach etlichen Erdbeben und Umbauten gibt es dort jetzt mehrere Gassen mit für Nonnen gebauten Häusern, Kreuzgänge, Gärten oder Versorgungsanlagen zu besichtigen. Von den 20 dort noch lebenden Ordensfrauen sehen wir eine, die uns freundlich und offen anlächelt. Dann brechen wir zum Busbahnhof auf und wollen von den Fenstern ganz vorn im Bus in der oberen Etage die Landschaft und die Steigungen von 2.300 auf 3.830 Meter genießen. Zu meiner Überraschung verkrafte ich die sechsstündige Fahrt bis aufs Abgeschlafft sein gut. Jeanette bleiben die latenten Kopfschmerzen, trotz fleißig gekauter Cocablätter gegen die Höhenkrankheit erhalten.
Wenn ich dachte, ich hätte es überstanden, dann lehrte mich der Busbahnhof in Puno eines besseren: Zum Glück finde ich gerade rechtzeitig ein Baño, eine Toilette. Ohne Mageninhalt bin ich so schlapp, dass wir für die 800 Meter bis zum Hostel ein Taxi nehmen. Der Anblick des Zimmers stärkt die Lebensgeister auch nicht gerade. Der bei Booking.com gebuchte Blick auf den Titicacasee entpuppt sich als Fenster mit solider Backsteinmauer 25 Zentimeter dahinter. Der muffelige Mann am Tresen verweigert sich unserem Wunsch nach einem anderen Zimmer. Seeblick gäbe es im ganzen Haus nicht. Zum Kämpfen zu müde hauen wir uns in die großen Betten mit den schweren Decken. Für mich ist der kurze Weg zur Toilette eh wichtiger geworden als irgendein Ausblick. Der Durchfall wird immer schlimmer und Schüttelfrost kommt dazu. Als wir 2013 schon mal hier waren, hatten wir gar keine Probleme. Da gibt es wohl leider vor allem eine Erklärung die mit A anfängt und mit Lebensjahren zu tun hat.
Zum Frühstück muss Jeanette alleine, mir wird schon beim Gedanken ganz anders. Sie kommt nicht nur satt zurück, sondern mit dem Tipp zweier Franzosen für wirksame Pillen aus der Apotheke, die sie gleich holt. Alle acht Stunden schlucke ich eine, dämmere weiter vor mich hin und reduziere die Vorräte an Klopapier. Nach einem ganz kurzen und sehr langsamen Spaziergang zum Titicacasee, falle ich wieder atemlos ins Bett. Highlight des Abends ist ein Harry Potter-Film in Spanisch. Als ich gegen 4 Uhr mal wieder von der Toilette komme, zieht Jeanette andere Seiten auf und holt aus der Medizintasche Kapseln gegen Akutdurchfall raus. Die helfen offenbar, denn wir schaffen am nächsten Vormittag den Umzug in ein anderes Hostel mit Fenstern, wenigstens zum Innenhof. Dann falle ich wieder ins Bett und schlafe mich gesund.
Nach ein „bisschen“ Schlaf über Stunden fühle ich mich etwas besser und wir gehen die nächste Entscheidung an. Jeanette hat schon lange von einer Mehrtagestour zum Machu Picchu geredet. Für die zeichnet sich jetzt ein Zeitfenster ab. Wir sind für die auf täglich 800 limitierten Karten für die Inkastadt in den Wolken schon etwas spät dran, finden aber ein paar Anbieter für vier- oder fünftägige Touren. Doch zuvor wollen wir bei einem 150-Meter-Aufstieg zu einem Aussichtspunkt über Stadt und See den Atem- und Fitnesstest machen und dann alles weitere planen. Mit etlichen Atempausen schaffe ich den sogar und esse auf dem Weg erstmals wieder was seit mehr als vier Tagen. Zurück im Hostel sind wir beide vom Ausflug auf 4.010 Meter so platt, dass es uns vor der Machu Picchu-Tour zu gruseln beginnt, die über einen 4.600 Meter (!) hohen Pass führt. Das wäre keine gute Voraussetzung, um solch eine Tour zu genießen. Schweren Herzens sehen wir ein, dass diese Tour keine vernünftige Idee ist. In die Stadt in den Wolken wird es trotzdem gehen, wir zahlen eine Miniaturalternative, mit einer Zweistundenwanderung und Übernachtung für den frühestmöglichen Eintritt in die Inkastadt, sowie die Rückfahrt mit dem Inkazug. Immerhin werden wir Machu Picchu so live erleben.
Nach einem letzten Aufbäumen in der Nacht, gibt das Verdauungssystem endlich Ruhe. Ich fange an, mich besser zu fühlen. Nur beim Luftholen verspüren wir beide manchmal noch einen Druck auf der Brust. Aber damit können wir nach den letzten vier, fünf Tagen gut leben. Zum Glück kriegen wir wieder genug Luft, um ein kleines Stückchen zu reisen und sagen Selma ein Treffen in Copacabana auf bolivianischen Seite zu. Sie ist die Tochter einer langjährigen Dresdner Freundin und reist gerade von Bolivien nach Peru. Wir fahren dafür ein Stück der Strecke am Titicacasee entlang mit einem Touristenbus, der mit Führer an Bord auf dem Weg ins Städtchen Juli an einigen Sehenswürdigkeiten rechts und links der Strecke hält. Von Juli aus fahren wir mit Colectivos (bis zum Platzen voll gepackten Minibussen im Linienverkehr) bis Yunguyo an der bolivianischen Grenze, laufen rüber, kriegen ohne großes Federlesen zwei neue Stempel in die Pässe und tuckern im nun bolivianischen Colectivo weiter bis Copacabana. Selma kommt mit dem Bus aus La Paz und es fühlt sich sehr gut, aber auch komisch an, sich so weit weg von zu Hause mit ihr zu treffen.
Die Hauptattraktion des Ortes liegt 1,5 Bootsstunden weg, die Sonneninsel Isla del Sol, wo nach dem Glauben der Inka die Sonne, ihr Hauptgott, geboren wurde. Jedenfalls scheint sie kräftig, als wir einen halben Tag lang durch Inkaruinen, Terrassen mit Bohnen, Hafer oder Weizen oder über Bergrücken wandern, die uns an Kreta erinnern. Jedenfalls verkrafte ich den Wandertag gut – die Reise durch Peru kann also wieder in Gang kommen, die unfreiwillige Atempause geht zu Ende. Ein Stück geht’s jetzt zu dritt weiter.
5 Kommentare
Hallo Ihr beiden: freue mich, Euch mit meiner Tochter auf Foto´s zu sehen 🙂
Weiterhin eine gute Reise bei besserer Gesundheit wünscht Ellen
Liebe Ellen. Es ist auch für uns sehr schön, ein Stück mit Selma zu reisen. Sie ist so schön weltoffen – und kann viel besser Spanisch als wir.
Tolle Bilder einer ganz sicher tollen Reise! Und schön – dass es Dir wieder besser geht Jens. Liebe Grüße an Jeanette!
P.S.: Das Erstellen einer Galerie üben wir vor der nächsten Weltreise nochmal…. 😉
Die Rosenstöckchen und das genese „Mistböckchen“… Wie schön!
Höhenkrankheit kann einen ganz schön aus den Socken hauen. Da kennen wir auch den einen oder anderen, der niemals wieder auf große Höhe zurück kehren würde. Da habt ihr tapfer durchgehalten.