An einem in mehrerer Hinsicht besonderen Wandertag in den Anden haben wir ganz schön was erlebt. Wir sind mit heiler Haut davon gekommen, aber nicht mit trockener.

Einfach ist diese Wanderung wirklich nicht. Dabei ist sie nicht mal losgegangen. Allein sie zu organisieren ist ein enormer Aufwand: Um überhaupt in den Nationalpark Iguaque nahe Villa de Leyva zu kommen, in dem es genau einen Wanderweg gibt, muss man mindestens am Tag zuvor eine Unfall-Versicherung abschließen, wir wissen nur nicht wo – bisher haben wir noch nie so etwas gebraucht. Dann muss der per Email eingereichte Antrag auf Einlass mindestens 24 Stunden vorher abgeschickt werden. Das Zeitfenster stellt die nächste Herausforderung dar: Um 8 Uhr öffnet der Park, ab 10 Uhr wird aber keiner mehr rein gelassen und um 17 Uhr wird das Ausgangstor verriegelt. Der Weg selbst ist mit mindestens sieben Stunden und 1600 Höhenmetern hin und zurück veranschlagt, bei frühem Start müsste das also klappen … wäre da nicht der Bus, der letztmalig gegen 16 Uhr etwa drei Kilometer weg vom Ausgang entfernt zurück ins pittoreske Kolonialzeitstädchen Villa de Leyva fährt. Mit dem würde die Wanderung viel zu eilig werden. Das alles sollte doch reichen, die Lust an der Tour zu verlieren

Unser Fahrer und die Nationalparkleute checken die Formalitäten.

Da uns Anne in Bogotá aber wärmstens ans Herz gelegt hat, hoch zur Lagune Iguaque zu wandern, legen wir uns ins Zeug und versuchen alles mit Hilfe des Internets über die Nationalparkleute zu regeln. Weit kommen wir damit aber nicht. Die Antworten sind immer ewig lange vorgefertigte Schreiben, die unsere Fragen kaum beantworten. Dann stolpern wir zufällig in Villa de Leyva einem netten älteren Herrn mit weißem Seemannsbart und Cowboyhut über den Weg. Der sieht gleich, dass wir Hilfe brauchen und winkt uns in ein Haus. In seiner ein Zimmer einnehmenden Reise-, Abenteuerunternehmungs- und Fahrradverleih-Agentur verkauft er uns die nötige Versicherung, erkennbar an einem weißen Papierarmband. Auch die Anmeldung für den kommenden Tag managt er und bietet uns – für eine ordentliche Bezahlung – noch die Hin- und Rückfahrt bis/vom Einlasstor im privaten Allradfahrzeug an. Also doch wandern. Wir blättern die Pesoscheine hin und gehen Marschverpflegung und Wasser einkaufen.

Die heilige Lagune Iguaque auf 3600 Metern Höhe.

Der Bergsee „Laguna de Iguaque“ war nicht nur den hier bis zum Eintreffen der Spaniern lebenden Muisca-Indianern heilig, weil er für die nichts weniger als der Ursprung der Menschheit war (ihre Göttin stieg einst aus dem Wasser empor und zeugte mit dem einzigen Mann auf Erden den Anfang der Menschheit). Der See liegt zudem in einer ganz besonderen Landschaft, dem so genannten Páramo (übersetzt etwa schlechtes, baumloses Ödland). Über der Baumgrenze ab 3400 Metern wachsen hier in den Anden auf moorigem Boden ganz seltsame Pflanzen, Frailejones genannt, Mönche. Ihren Namen haben die hier bis zu drei Meter hohen Stämme aus verwelkten Blüten und Laub mit der gelbgrünen Blätterkrone, weil sie an Nebeltagen wir fromme Männer auf Pilgerreise aussehen sollen. Die Pflanzen filtern mit ihren behaarten, ledrigen Blättern Wasser aus den tief hängenden Wolken. Das Ökosystem Páramo gibt es nur in Kolumbien, Ecuador und in Nordperu.

Die ersten Frailejones beim sonnigen Aufstieg.

Um zwischen den ersten dieser bizarren Pflanzen zu stehen, brauchen wir vom Parkeingang auf 2800 Metern gut drei Stunden steilen und atemraubenden Aufstieg auf matschigen Wegen. Noch eine Stunde später sehen wir endlich und komplett außer Atem (vor Staunen und Höhe) den heiligen See. Auf 3600 Metern sind wir beide noch nie gewandert. Das ist neben der einzigartigen Landschaft und der schwierigen Organisation schon die dritte Besonderheit der Tour.

Die Krone setzt dem Ganzen dann noch das Wetter auf. Lange bleiben wir an der Lagune nicht sitzen. Das liegt nicht nur an den in den Kessel hereinziehenden Wolken, die uns jegliche Sicht nehmen. Wir spüren Tropfen fallen, können aber im Wolkennebel nicht einschätzen, ob es mehr werden könnten – also treten wir vorsichtshalber den Rückweg an. Keine 20 Minuten unterwegs bleibt uns nichts weiter übrig, als schnell die Regenponchos aus den Rucksäcken zu kramen. Die Aussicht, noch zweieinhalb Stunden steilen Abstieg im immer heftiger prasselnden Regen vor uns zu haben, ist nicht gerade aufbauend, und die Sicht auf die Wege macht das Ganze nicht besser. Das viele Wasser verwandelt die aus dem dünnen Moorboden getretenen Wanderpfaden in reißende Matschbäche, an deren Rändern man steil bergab kaum Halt findet.

Aus Wanderwegen werden reißende Bäche.

Das ist offenbar immer noch nicht genug der Herausforderung: Beängstigend knapp sehen wir keine 100 Meter neben uns einen Blitz aus den tiefen Wolken zucken und genau in dem Moment donnert es schon ohrenbetäubend. Starr vor Schreck bleiben wir mit eingezogenen Köpfen eine Minute lang stehen. Dann realisieren wir, dass wir ganz oben auf dem Hang die höchsten Punkte weit und breit sind. Statt auf den nächsten Einschlag zu warten, setzen wir uns ganz schnell und geduckt in Bewegung und achten nicht mehr darauf, nicht in die teils 20 Zentimeter tiefen Matschbäche zu treten. Jetzt nur runter in triefend nassen Lederschuhen. Normalerweise würden wir uns strikt weigern, bei so einem Wetter auf Hängen als höchste Punkte rumzukraxeln. Hier bleibt uns aber nichts übrig, als so schnell wie möglich über die glitschigen Pfade abzusteigen und zu hoffen, dass die nächsten Blitze etwas weiter weg niedergehen. Das tun sie zum Glück auch. Völlig erschöpft und durchnässt bis auf die Haut (die Regensachen brauchen dringend Imprägnierspray) kommen wir am Parkausgang an. Ganze drei Minuten später rollt der Pickup an, der uns abholt. Den Fahrer stören unsere tropfenden Sachsen zum Glück nicht. Auf dem Weg zurück zum Hotel mit warmer Dusche fällt dann auch die Angst langsam ab, die uns bei den krachenden Blitzen erfasst hat.

Am Hauptplatz von Villa de Leyva.

Am nächsten Morgen scheint die Sonne – die nassen Klamotten und Wanderschuhe können wir wohl doch wieder trocken in die Rucksäcke einpacken. Während alles auf Leinen hängt, schlürfen wir am Hauptplatz von Villa de Leyva einen kräftigen kolumbianischen Kaffee und genießen den Anblick der Gebäude: Weiße Wände, dicke Holzbalken, Wandelgänge, hölzerne Balkone und fast immer herrlich lauschige und dicht bewachsene Innenhöfe. Die Bauten stammen fast alle aus dem 16. und 17. Jahrhundert, als die Spanier den Ort aufbauten, sind erstaunlicherweise nahezu unverändert und inzwischen aufwändig saniert. Was den Ort vier Busstunden nördlich von Bogotá heute zum Touristenmagneten macht, ist einem Nachteil der Landschaft zu verdanken. So klimatisch günstig das Hochtal zum Leben ist, die dünnen Böden waren von den Bauern schon nach einem Jahrhundert total ausgelaugt. Viele zogen wieder weg und das Städtchen versank in einen Dornröschenschlaf. Niemand baute die alten Häuser in moderne um. Wir jedenfalls kosten das gelassene Flair aus und sammeln neue Kraft für weitere Highlights, die in den kommenden Wochen noch in Kolumbien und Ecuador auf uns warten.

2 Kommentare

  1. Da hatten wohl noch ein paar Schutzgötter ihre Hände mit im Spiel. Schön, dass ihr wohlbehalten den Abstieg gemeistert habt, der euch sicher ewig in Erinnerung bleibt. Gute Weiterreise für den Endspurt!

  2. Allen Schutzgöttinnen sei Dank, dass ihr heile seid!!!!!
    *
    Wunderschöne Bilder, die eine faszinierende magische Welt erahnen lassen.
    Um wie viel intensiver muss es sein, all diesen Wundern mit Herz u Seele zu begegnen!
    *
    Euch eine gute Weiterreise!
    Nun: Bis ganz bald…
    Herzensdrücker von Kati samt Kids

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.