Einst war sie eine bedeutende Hauptstadt, doch dann kam die Katastrophe. Lange danach entsteht Antigua neu und anders.
Die Stadt genügt sich selbst. Sie scheint keinen anderen Zweck zu haben, als da zu sein, für sich – und für Besucher wie uns. Es geht herrlich gelassen zu zwischen den nur 1-etagigen Häusern, die die mit groben Steinen gepflasterten Straßen säumen. Was uns als Neuankömmlinge zuerst und sehr angenehm auffällt: keine Taxis oder Tuk-Tuks drängen sich um einen, kein Guatemalteke bietet lauthals Unterkünfte, Touren oder Weiterreisen an. Man nimmt einfach seine aus dem Bus geladenen Sachen, läuft durch die schachbrettartig angelegten Gassen zur Unterkunft, macht sich frisch, zieht wieder los und sucht sich ein Restaurant, eine Bar oder setzt sich auf dem Hauptplatz unter die Bäume und sieht dem bunten Treiben der Leute zu. Antigua ist ein Ort, in dem wir uns gleich wohl fühlen. Wir bleiben zwei Tage. Das reicht uns dann aber doch nicht. Nach der Wanderung zum Atitlán und dem Marktbesuch in Chichi kommen wir wieder her und schaffen es, vier Tage lang einfach dort zu sein, ohne gleich rastlos weiterzureisen. Meist bleiben wir nur für zwei Nächte an einem Platz.
Was den Reiz von Antigua auch ausmacht, sind die gefährlichen Berge. Wer Glück mit den Wolken hat, sieht alle drei der mächtigen Vulkane, die die Stadt einrahmen, scheinbar über sie wachen: Am südlichen Rand thront ein riesiger Kegel, der inaktive Agua (also Wasser), etwas weiter weg der alle paar Minuten kleine Lavafontänen und Qualm spuckende Fuego (Feuer) und dicht daneben der Acatenango, der im Moment schläft. Wir haben die imposanten Berge beim ersten Besuch gesehen, beim zweiten aber hinter Dunst und Wolken nicht mehr.
Die Vulkane und ihre Begleiterscheinungen haben die Stadt schon immer arg gezeichnet – jetzt lässt sich eine kleine Geschichtsstunde nicht vermeiden ;-). Von spanischen Mönchen 1543 gegründet und 1549 zur Hauptstadt Guatemalas ernannt, hat sich der Ort in den folgenden 200 Jahren zum politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Zentrum ganz Mittelamerikas entwickelt. Ruhig war es in Antigua auch aus anderen Gründen nicht: Immer wieder hat es Erdbeben, Vulkanausbrüche und Überflutungen gegeben, die die Entwicklung der Stadt aber nie lange aufgehalten haben. Die kaputten Häuser und Kirchen wurden einfach schnell wieder aufgebaut und die Zahl der Einwohner stieg stetig. Um 1750 lebten hier mehr als 50.000 Menschen, der Ort hatte über 50 Kirchen und Klöster, dazu Krankenhäuser, Schulen und eine Uni. Doch dann kam der 29. Juni 1773. Ein sehr schweres Erdbeben hat von dem Ort nur Schuttberge übrig gelassen. Die Hauptstadt wurde kurzerhand auf eine 45 Kilometer entfernte Hochebene verlegt, wo heute die riesige, chaotische, laute und im Verkehr erstickende Guatemala Stadt liegt.
Die dem Erdboden gleichgemachte Ex-Hauptstadt wurde zwar nicht komplett aufgegeben, brauchte aber sehr lange, um wieder eine Stadt zu werden – und Rückschläge blieben nicht aus. Zuletzt hat 1976 ein Erdbeben schwere Schäden angerichtet. Aber die Einwohner kamen zurück und bauten ihre Stadt im alten Stil wieder auf. Dabei hat sich an manchem Gebäude der Charme der Vergänglichkeit erhalten. Heute hat La Antigua Guatemala (Alt-Guatemala) gut 35.000 Bewohner, sehr viele Ruinen, aber keine so wichtige Bedeutung, dass Bürohochhäuser und Armenviertel aus dem Boden schießen. Und genau das macht den Reiz der Stadt aus: Die Stadt genügt sich selbst.
Im Innenhof des Hotels frühstücken, durch die Pflasterstraßen wandern oder ein paar der vor Erdbeben zerstörten Kirchen oder Klöster bestaunen, die inzwischen zu Eintritt kostenden Sehenswürdigkeiten sanierten sind, in einem der vielen Cafés einkehren, eine Weile am schattigen Plaza Central oder in einer der Kirchen sitzen, einem Alphorn-Jazz-Konzert am Rathaus lauschen oder einfach schlendern ohne Absichten durch Läden … Wir nehmen uns mal die Zeit, die vielen bisherigen Eindrücke zu verarbeiten, davon Blogtexte und Tagebuch zu schreiben.
Interessant für uns ist zu erleben, dass sich einige Traditionen ungeachtet des boomenden Tourismus erhalten haben. Am Wochenende werden vor der großen Kirche La Merced dutzende Stände aufgebaut, an denen es preiswerte kulinarischen Köstlichkeiten gibt, nicht nur für die sehr vielen Kirchgänger. Das Angebot wissen die Einheimischen zu schätzen und kommen so zahlreich, dass die wenigen Touristen dort kaum auffallen. Wir lassen es uns aber nicht entgehen, dort zu essen. Als wir mit gerösteten, lecker gefüllten Teigtaschen auf dem Brunnen vor der gelb und weiß gestrichenen Kirche sitzen, fallen uns sehr viele Männer in langen lila Roben auf, die um die Stände ziehen. Wofür sie sich stärken, erleben wir kurz danach durch Zufall.
Als wir von einer Bar mit echt gutem lokalen Bier ins Bett wollen, wundern wir uns eine Querstraße vorm Hotel über die vielen Leute, die auf den Bürgersteigen stehen. Dann erschallt in der Ferne getragene Blasmusik und ein Pulk von Menschen zieht die Straße hinauf. Ein paar Minuten später bin ich mit einem neuen Akku für die Kamera aus dem Hotel zurück. Da steht gerade ein Trupp Römer. Dahinter erscheinen die dunkel gekleideten Herren mit Trompeten, Lyren, Tuben und Pauken. Dann werden mehrere riesige Standbilder vorbei getragen, auf denen lebensgroße beleuchtete Figuren Szenen mit Jesus und mit einer Nonne zeigen. Und eine große Menge der jungen wie alten Männer in lilafarbenen Roben zieht mit dem Zug mit. Später erfahren wir, was das war: die Prozession zu Ehren der Heiligen Anna – und Lila ist die Farbe der Vorosterzeit. In Antigua gibt es die letzten fünf Sonntage vor dem in Lateinamerika wichtigsten Fest des Jahres Prozessionen für jeweils eine oder einen Heiligen.
Aber ein bisschen was wollen wir dann doch auch außerhalb von Antigua sehen und buchen zwei Touren in die Umgebung. Die eine führt uns bis zur frisch ausgelaufenen Lava am Hang des Vulkans Pacaya. Dort verstehen wir dann auch, warum der Guide Stöckchen und Marshmallows mit hat: Die Süßigkeiten steckt er auf die Äste und wir halten sie in ein Loch in der Lavakruste – nach drei Sekunden sind die Schaumteile geröstet, nach fünf Sekunden brennen sie. An einem anderen Tag besuchen eines der weit oben in den Bergen gelegenen Dörfer, in denen die Maya-Nachfahren als Bauern leben. Ein älterer Bewohner zeigt uns, wie mühsam es ist, zu den Feldern mit Blumen, Mais und Bohnen oder zur abgelegenen Waschstelle mitten im Wald zu kommen. Und dann muss ja auch die große Reise weiter geplant werden, die uns als nächstes nach Costa Rica führt. So nehmen wir vom erholsamen Antigua aus nach gut vier Wochen entspannt Abschied von einer spannenden Zeit in Guatemala.
2 Kommentare
Liebe Weltbummler, bringt ihr mir bitte einen Tuffstein bzw Bimsstein mit?
Ich bewundere ja eure agilen Füße und haltbaren Knie. Kolja fragt zaghaft nach dem nächsten Video. Geschichtsexkurse sind in der Masse akzeptabel :).
Weiterhin eine ereignisreich Zeit in der Ferne.
Liebe Grüße Anja
Tolle Brunnen und auch sonst schöne Eindrücke