Die zweite Mehrtageswanderung führt uns durch die steilen Berge West-Guatemalas zu einem flusslosen See unter Vulkanen. Großes Glück haben wir mit den Leuten.
Mit dem Sonnenaufgang haben wir so unsere Probleme. Zumindest mit denen draußen in der Natur hat’s nicht geklappt – und das liegt nicht am frühen Aufstehen. Weder von der Maya-Pyramide in el Mirador noch von der in el Tintal haben wir ihn gegen 5:30 Uhr überm Dschungel zu Gesicht gekriegt (siehe Blog zum el Mirador). Beide Male versperren Wolken die Sicht. Unsere holländische Mitwanderin José hat die rettende Idee: „Macht doch eine Tour bei den Quetzaltrekkers mit.“ Diese Organisation bietet Mehrtages-Wanderungen an, eine davon mit Highlight Sonnenaufgang über dem See Atitlán. Jeanette ist zwar skeptisch, weil sie sich das Loswandern um 4 Uhr nicht vorstellen mag. Auch die anderen Tage starten im Dunkeln, und das ist nicht ihre Zeit zum Wachwerden. Aber für den guten Zweck (Sonnenaufgangsfotos) willigt sie doch ein.
Wie kommen wir nach Quetzaltenango, wo die Tour beginnt? So chaotisch und für uns undurchsichtig das System der Chickenbusse auch ist (ausrangierte US-Schulbusse, die ihren Namen von den oft mitgeführten Hühnern haben). Das Angebot von Touristen-Shuttles ist um so größer. Die sind zwar teurer, aber man wird am Hotel abgeholt und ohne mit großen Rucksäcken vier Mal umzusteigen zum Touri-Zielort gebracht. Ich gebe offen zu, dass ich in Guatemala immer für die Shuttles plädiert habe – das Organisieren der restlichen Reiserei ist schon aufwändig genug und das Abenteuer Chickenbus hatten wir in Belize bereits. Also durch die Reiseagenturen in Antigua laufen und die eine finden, die uns nach Xela bringt (ausgesprochen Schela, der alte und gebräuchlichere Name von Quetzaltenango), wo selten Touristen hin wollen. Aber es ist möglich.
Auf der Fahrt lernen wir Sonja kennen, die in Österreich geborene Engländerin aus Hongkong (siehe Blog zum Chichi-Markt). Sie will die Drei-Tages-Tour von Xela zum Lago Atitlán auch mitmachen. Im Büro der Quetzaltrekkers begegnet uns bei der Reiseabsprache für den nächsten Morgen noch Bea, eine Studentin aus Bayern. Zwei weitere Mitwanderer sind Seth und seine Freundin aus Kanada. Unsere Guides (Adam aus New York, Kyle aus Sydney und Liam aus dem schottischen Edinburgh) sind total begeistert. Sechs Wanderfreunde hatten sie noch nie, normalerweise müssen sich die Guides um 18 bis 25 Wandervögel kümmern. Die Tour fängt also richtig gut für uns an.
Und die Wanderung beginnt natürlich im Dunkeln. Pünktlich um 5:45 laufen wir los vom Hostal zum Büro. Dort gibt’s um 6 Uhr gemeinsames Frühstück (natürlich Rührei, Obst und Bohnenmus). Nicht nur das ist ungewöhnlich. Unsere Rucksäcke füllen sich mit schweren Schraubdosen und prallen Tüten: jeder muss einen Teil der Verpflegung für die kommenden drei Tage mitschleppen, dazu noch drei Liter Wasser, Schlafsack, Isomatte und Klamotten für kalte Morgen und warme Tage. Und dann haben wir doch noch das Vergnügen Hühnerbus. Mit so einem fahren wir, so weit es geht nach oben in ein Bergdorf. Für die ersten Kilometer der Tour bleiben uns trotzdem noch satte 800 Höhenmeter Aufstieg bis Alaska. Von dem 3050 Meter hohen, immer kalt umwehten Höhenzug, über den sich auch die von Alaska bis Feuerland führende Panamericana windet, geht es zwar weiter lustig runter und wieder hoch, aber nicht mehr so heftig.
Nach 19 Kilometern und einigen Pausen (um kauend die Rucksäcke zu erleichtern) und mit extrem staubigen Schuhen und Hosen, stehen wir vorm Gemeindehaus in Santa Catarina. Auf dem Steinboden im großen Saal des Dorfes betten wir unsere Häupter nach dem Abendessen zur frühen Nachtruhe. Immerhin geht um 6 Uhr das Licht wieder an, für weitere 19 Kilometer rauf und runter und rauf und runter auf staubigen Pfaden durch Wälder, Felder und Dörfer. Unterwegs begegnen wir oft einheimischen Indios und haben so einen kleinen Einblick ins beschwerliche Leben der Bauern. In den Orten der Maya-Nachfahren stehen zwar auch richtig imposante Villen neben Hütten aus Lehmziegeln und Blechplatten. Die zeigen deutlich, wie viele junge Männer aus den Dörfern es illegal in die USA geschafft und Arbeit gefunden haben. Von dem Geld, das sie heim schicken, bauen sich die im Dorf gebliebenen Familien ihre „Paläste“ und auch die Straßen.
Die Nacht verbringen wir im Haus von Don Pedro, der uns alle mit Handschlag und Erdbeermilch begrüßt. Er ist eine wichtige Person im Dorf Xiprian und hat ein großes Haus, das er den Wanderern seit Jahren zur Verfügung stellt. Die Quetzaltrekkers sind ja auch eine besondere Truppe. Die Guides für alle acht angebotenen Touren zwischen einem und sechs Tagen sind Freiwillige, also unbezahlt. Sie unterstützen für jeweils drei Monate das Projekt einer Schule für Indio-Kinder, das von dem Geld betrieben wird, das wir für die Tour bezahlen. Die Gründer sind der Ansicht, dass sich die Situation der fast immer armen Urbevölkerung nur durch Bildung ändern lässt. Also tun wir mit dem Wandern doppelt Gutes: wir erleben zu Fuß das Hinterland von Guatemala und unterstützen ein gutes Projekt für die Bewohner.
So richtig gut geht es uns am nächsten Morgen aber trotzdem nicht: Um 3:40 Uhr aufstehen ist nicht nur für Langschläfer schwer. Aber es muss sein. Nur wenn wir um 4:15 Uhr loskommen, schaffen wir die Strecke bis zum hoch gelegenen Aussichtspunkt über dem See, über dem wir auf den Sonnenaufgang hoffen. Wir schaffen es. Als wir dort die letzten Reserven aus den Rücksäcken holen, mit denen die Guides ein Frühstück basteln, strahlen die Sterne von einem klaren Himmel. Als das Licht ganz langsam zunimmt, sehen wir tief unter uns den Atitlán und ringsum steile Berge, fast ausnahmslos Vulkane. Im orangenen Dämmerlicht sehen wir in der Ferne sogar eine Eruption des sehr aktiven Feuerberges Fuego. Dann schiebt sich die Sonne über die gegenüberliegende Hügelkette und taucht die ganze Gegend in zunehmendes weiches Licht. Für diesen Anblick hat sich das viel zu frühe Aufstehen gelohnt, bekundet eine im Morgenlicht strahlende Jeanette.
Dann geht es eineinhalb Stunden steil runter bis auf 1560 Meter zum See. Der ist 18 Kilometer lang und ganz besonders. Das bis zu 350 Meter tiefe Wasser füllt einen eingestürzten Vulkankegel und wird von keinem Fluss verlassen oder gespeist. Es stammt ausschließlich von Regenfällen, die die Hänge runter laufen. Das hat leider den Nachteil, dass Pestizide und Dünger aus den Kaffeeplantagen ringsum in den See gespült werden. Die Touristen in den Dörfern rings um das klare Gewässer hält das aber nicht vom Baden ab. Die sehen wir in San Pedro, wo die Wanderung und eine richtig gute Zeit endet. In der kleinen Gruppe spannender und aufgeschlossener Leute haben wir die Chance genutzt, uns näher kennenzulernen und viel vom Leben der anderen zu erfahren.
Wir zwei bleiben noch zwei Tage in San Pedro, erholen uns von den 47 Kilometern, lassen die Sachen waschen und genießen das Leben am Wasser. Ganz unerwartet treffen wir beim Frühstücken ein kanadisches Paar wieder, das wir zweieinhalb Monate zuvor im mexikanischen Puerto Escondido kennen gelernt und dort mehrfach getroffen haben. Solche Begegnungen, von denen es noch einige andere gibt, machen einen Teil des Reizes solch einer Reise aus. Mal sehen, wen wir noch wiedersehen, wenn wir zurück in Antigua sind.
3 Kommentare
Lieber Jens, Liebe Jaenette,
bei einem schönen Glas Sekt und gestern und vorgestern registriertem Wintereinbruch – es hat geschneit in Basel – verfolgen wir Eure Abenteuer auf 3000m Höhe… schöne Fotos, schöne Texte – Harry meint: „Glernt isch halt glernt ;-)“… geniessen wir es, ein wenig dabei sein zu dürfen. Harry macht das regelmässiger, mein dichter Alltag lässt das weniger zu. Wir senden Euch ganz liebe Grüsse und wünschen weiterhin eine gute Reise und viele schöne Abenteuer und gute Begegnungen, alles Liebe, Elke & Harry
Gut, dass ihr das Thema „Sonnenaufgang“ jetzt abgehakt habt. Sonnenuntergänge sind doch auch sooo schön und zeitlich auch viel passender gelegen.
Vielen Dank für die vielen schönen Photos und Geschichten. Wir folgen euren Pfaden mit Freude. Viel Spaß noch dort im Südwesten und viele liebe Grüße von den Lübeckern
Jeanette stimmt euch in vollem Umfang zu, was den besser gelegenen Untergang betrifft ;-))