Die berühmten Linien wollen wir uns aus der Luft ansehen. Aber auch am Boden gibt es viel von der uralten Nasca-Kultur zu sehen – und eine starke Verbindung zu Dresden.
Kurz vor 12 jault der Motor endlich auf. Der Pilot lässt die Cesna langsam zum Anfang der Startbahn rollen. Fünf Minuten später legt sich das kleine Flugzeug beängstigend schräg in eine enge Rechtskurve, damit wir drei Passagiere, die hinter dem Copiloten sitzen, den Wal im Wüstenboden gut sehen können. Im Infoblatt ist das das erste der riesigen, in den Boden der nördlichen Atacama geschabten Bilder, über das wir fliegen. Den Wüsten-Wal zu entdecken, ist trotz seiner 65 Meter Länge gar nicht so leicht. Für unsere Augen sind da unten zu viele Linien. Dann erscheint plötzlich der blaue Himmel im Fenster- die Cesna legt sich weit nach Links, damit auch die Fluggäste auf der anderen Seite eine gut Sicht haben. Bei jeder der nächsten Figuren wird es aber einfacher, sie im steinigen Wüstenboden zu entdecken. In knapp einer halben Stunde scharfer Rechts- und Linkskurven sehen wir unter uns zwölf Figuren, darunter die bekanntesten wie Affe, Kolibri oder Spinne, alle zwischen 50 und 100 Meter riesig.
Was die Leute der Nasca-Kultur, die zwischen 800 vor und 800 nach Christus existierte, dazu bewogen hat, diese vom Boden aus nicht zu überblickenden Riesengebilde in den Wüstenboden zu scharren, wird wohl ein ewiges Geheimnis bleiben. Entsprechend viele Deutungen kursieren, vom gigantischen Kalender über Richtungsangaben für Handelskarawanen bis zum – das darf ja nicht fehlen – Landeplatz für Ufos. Letzteres wird durch ein besonderes Scharrbild befeuert: eine 35 Meter hohe Figur, die Astronaut genannt wird und die nicht wie alle anderen Bilder im flachen Boden ist, sonder an der Flanke eines Hügels steht. Übrigens macht sich die einem Alien nachempfunden Figur auch sehr gut auf T-Shirts mitten zwischen Spinne, Kondor oder Affe.
Der Name einer in Dresden geborenen Frau begegnet einem in Nasca alle Nasen lang, zum Beispiel auf den Trainingsjacken von Kindern, die an die Maria Reiche-Schule gehen, oder auf den Eintrittskarten für den Flughafen, von dem es zu den Linien geht. Die in Dresden studierte Mathematikerin hat von Mitte der 40er bis Ende der 1990er Jahre 150 Quadratkilometer Wüste durchwandert und alle Linien und Figuren vermessen. Maria Reiche hat die Idee aufgebracht, dass die Figuren ein gigantischer Kalender sind. Wie auch immer, hier in Nasca und sogar noch in Ica, wo eine riesige Büste von ihr steht, kennt jeder die Dresdnerin. Ein Taxifahrer, der uns gefragt hat, woher wir in Deutschland sind, war ganz begeistert, als er Dresden hörte – aber auch etwas verwundert, dass wir noch nie von Marie Reiche gehört hatten. Jetzt ist zumindest eine Wissenslücken geschlossen. Auch die, wie die Frau die ersten, noch immer berühmten Fotos von den Nasca-Linien machte: Sie ließ sich an die Kufe eines Hubschraubers binden und machte so kopfüber Großformataufnahmen.
Wir müssen nur warten, bis sich die Cesna weit genug in die Schräge neigt, um Digitalkamera oder Handy klicken zu lassen. Zu der Tour sind wir über den Chef unseres Hostels „Boulevard“ gekommen, der etwas Englisch spricht und unbedingt deutsche Wörter lernen wollte, allerdings an der Aussprache gescheitert ist. Jedenfalls hat er uns so lange beschwatzt, bis wir zugesagt haben. Mit den Dollarscheinen ist er abgedüst, aber am nächsten Tag hat alles wunderbar geklappt. Der Mann, der fast alle auf dem Flughafen kennt, hat uns sogar dorthin begleitet, uns gezeigt, an welchem Schalter wir noch welche Gebühr zahlen müssen und uns nach dem Flug wieder ins Hostel gebracht. Eigentlich wollten wir mehrere Touranbieter abklappern (allein acht Fluggesellschaften bieten Nasca-Überflüge an). Aber so hat sich alles ohne Aufwand gefügt. Übrigens haben wir bisher noch keine schlechte Erfahrung mit solch halb überredeten Angeboten gemacht.
Aber das war es noch nicht, mit der Nasca-Kultur. Um gar nicht erst aus der Übung zu kommen, holt uns Juan eine halbe Stunde nach der Rückkehr vom Flughafen vorm Hostal ab. Der Peruaner, der Englisch und einiges an Deutsch spricht, zeigt uns zwei Highlights der alten Kultur am Boden. Zu der Tour zum Friedhof Chachilla und zu den Tempeln von Cahuachi, beides weit drin in der Wüste, sind wir anders gekommen. Am Vortag um 8 Uhr, als der Nachtbus von Cusco in Nasca angekommen ist, ist es noch zu früh zum Einchecken im Hostel. Nahe des Busbahnhofs finden wir ein schon offenes Restaurant. Bei sehr gutem Kaffee und richtig leckeren Brötchen frühstücken wir erst mal in aller Ruhe. Uns gegenüber hängen übergroße Bilder von halb aus dem Wüstenkies ragenden pyramidenähnliche Bauten. Der Kneiper erklärt uns, dass das einmal die Hauptstadt der Nasca-Menschen war. Erst da kriegen wir – zumindest noch rechtzeitig – mit, dass es von dem alten Volk noch mehr gibt als die riesigen Scharrbilder und die bunten Keramiken, die wir in einigen Museen gesehen haben. Also fragen wir gleich mal. Der Mann, der uns das Frühstück bereitet, bietet zwar selbst keine Touren an, aber seine Schwester. Über das wie auch in Chile so auch in Peru unverzichtbare WhatsApp für Touristentouren klären wir alles mit ihr, überweisen das Geld über einen Internetlink und warten am Nachmittag nach dem Rundflug auf Juan. Pünktlich hält sein weißer Toyota Yaris vorm „Boulevard“ – Guidename und Autotyp hat uns die Reiseagenturchefin aufs Handy geschickt.
In Englisch und teilweise auch in Deutsch erzählt und fragt uns Juan. Er ist es, der uns erstaunt fragt, ob wir als Dresdner wirklich Maria Reiche nicht kennen? Ein Blick ins Internet bestätigt: „La Dame de Nasca“ ist Dresdnerin. Nach der Tour belesen wir uns erst mal über die Vermesserin der Linien. Aber für die heutigen Besuche spielt sie keine Rolle weiter, obwohl sie genau so viel mit den Nasca-Menschen zu tun haben. Auch wenn ihre Kultur vor 1.500 Jahren untergegangen ist, sehen wir eine paar der früheren Bauern und sogar Schamane. Ihre Mumien hocken noch in den aus Lehmziegeln gemauerten Gräbern. Bauern sind die mit den kurzen Haaren, erklärt uns Juan. Je länger die Haare, um so höher die Position. Zwei der im Wüstenklima mumifizierten Toten haben so lange, dass sie mehrfach um die hockenden Mumien geschlungen sind. Die Toten, ob Bauern oder Könige, wurden aufwendig präpariert, damit ihre Haut erhalten bleibt. In den mit Holzbalken, Alpakaleder und darauf Sand bedeckten Gruben, in denen sie in wertvolle Stoffe gehüllt, mit Opfergaben bestattet wurden, mumifizierten sie. Auf dem Friedhof gibt es ein Dutzend geöffnete und wissenschaftlich untersuchte Gräber, in denen die Toten noch hocken. Ringsum sind aber auch hunderte flache Löcher im Wüstenboden zu sehen, in denen Knochen und Stoffreste liegen. Überall dort waren Grabräuber auf der Suche nach Goldschmuck zu Gange. Der morbide Charme dieses Ortes hat was faszinierendes, weil wir wirklich Nasca-Menschen vor uns sehen.
Wie die italienischen Wissenschaftler sich vom Friedhof abgewendet haben, um weiter drin in der Wüste noch größere Nasca-Relikte auszugraben, lassen auch wir uns von Juan auf sandigen Rüttelpisten dorthin fahren. Was wir in Cahuachi zu sehen bekommen, ist gigantisch und rätselhaft zugleich. Ein bis zwei Meter hohe und Dutzende Meter lange, angestrichene Mauern ziehen sich weite Hügel hoch, dazwischen liegen Räume, Treppen und noch mehr Mauern. Der Anstrich soll die freigelegten Lehmziegelmauern schützen. Aber warum sind sie so flach? Sind sie gar nicht, weil sie im Wüstenboden noch einige Meter tiefer reichen, erklärt uns Juan, bis auf das Niveau eines ein Stück weg zwischen Bäumen und Feldern fließenden Flüsschens. Die drei teils ausgegrabenen Pyramiden sind quasi nur die Spitze des Eisbergs.
Zum einen reichen die Nekropole (die Grabstätte der wichtigsten Nasca), das Parlament (wo sich die Schamanen trafen) sowie eine Art Hospital (wo auch die Toten auf die Bestattung weit weg vorbereitet wurden) noch viele Meter weiter nach unten. Zum anderen, erzählt unser Führer, liegen im Umkreis von 25 Quadratkilometern noch Hunderte Gebäude unter Sandhügeln begraben. Laut Juan zerstörte vor etwa 1.700 Jahren eine gigantische Flutwelle mit Schlamm aus den Bergen die imposante Hauptstadt der Nasca. So besiegelt Wasser, dessen Management das Wüstenvolk wie kaum ein anderes beherrscht, dessen Untergang. Bevor es ganz dunkel wird, ruft uns Juan zum Auto und fährt uns die 15 Kilometer durch die einsame Wüste zurück zur Asphaltstraße, die uns zurück ins pulsierende Städtchen Nasca bringt. Auf dem Hauptplatz wird abends auf mit großer Bühne eine „Nasca Tourist Week“ eröffnet – und in jeder Rede fällt mehrfach der Name der Dresdnerin Maria Reiche.
2 Kommentare
Mensch, die Scharrbilder von Nazca, ein lange gehegter Traum von mir. Hab als Student mal einen TV Beitrag über Maria Reiche gemacht, für das UniTV Magazin auf Dresden Fernsehen. Da hatte ich das Glück, die beinnahe letzten Videoaufnahmen von ihr zu verwenden. Fühlte ich mich exklusiv, damals 😏… Weiter gute Reise euch!
Wenn ich vorher geahnt hätte, dass ich Maria Reiche aus Dresden begene, hätte ich mich von dir vorbereiten lassen, Enni. Da ich noch immer wenig von ihr weiß: hast du deinen Beitrag noch für fiel Nachbereitung?