Nordchile. Im Landesinneren wird es heißer und karger. Entspannung finden wir unerwartet in Combarbalá.
Der erste Eindruck ist gar nicht gut: Graue bis rötliche Erde voller Steine und Staub, dazwischen ab und an Kakteen. Viele davon sind schon abgestorbenen. Im Auto wird es immer heißer. Dann neigt sich die fast leere Straße in ein weites Tal. Vor uns liegen Dutzende Häuser mit ein paar Bäumen dazwischen. Wir erreichen Combarbalá. Was uns die Tour hierher hat machen lassen, ist vor allem das Cruz del Sur. Nach dem wichtigsten Sternzeichen am südlichen Himmel benannt, ist es das erste Observatorien in den Wüstengebieten Nordchiles. Wir wollen nur schnell mal fragen, wie es mit Besichtigungstouren aussieht und wenn nicht, dann halt gleich weiterfahren. Aber es kommt anders – wir bleiben. Und das hat nicht nur mit der Sternwarte außerhalb des Ortes zu tun, die mit vier Beobachtunskuppeln in Form des Kreuzes des Südens auf einem der kahlen, staubigen Hügel aufgebaut ist.
Die Hauptplätze in chilenischen Orten gleichen sich ziemlich: ein kleiner Park, die Plaza mit Brunnen, Denkmälern und Buden, meistens ringsherum Parkplätze. Aber als wir den in Combarbalá erreichen, kommt gleich ein angenehmes Gefühl auf: viele Bäume, coole Musik aus im Geäst aufgehängt Lautsprechern (Doors, Sting und Björk liefen), kein einziger Parkplatz, dafür Fußwege rund um den kleinen Platz. Auf den Bänken sitzen Leute ganz entspannt. Von der sonst üblichen Hektik ist dort rein gar nichts zu spüren. Selbst die Autos fahren ganz langsam. Wir fühlen uns gleich wohl dort. Unser Auto, San Pedro, steht in einer Seitenstraße im Schatten. Was wollen wir mehr? Na, Tickets fürs Observatorium und einen guten Kaffee mit Wifi.
Am Hauptplatz neben Polizeistation und Heimatmuseum ist das Büro für die Observatoriumskarten. Aber: Es ist 14:02 Uhr und von 14-15 Uhr ist Mittagspause. Und jetzt? Zweite Priorität. Nur ein paar Meter weiter stehen drei Tischchen vor einem Eingang – es ist tatsächlich ein Café. Und es bietet schwarze Getränke aus Bohnen an. Oft genug haben wir schon löslichen Kaffee vorgesetzt bekommen. Diesmal schmecken Cappuccino und Americano gar köstlich. Gut versorgt, im Schatten und den Platz mit seinem langsamen Treiben im Blick, vergeht die Wartestunde schnell. 10 nach 3 ist die Tür zwar offen, aber der Schreibtisch noch immer unbesetzt. Ein Mann vom Büro nebenan sagt bedauernd, dass der Kollege heute wohl länger Pause macht. Einige Zeit später kommt er aber doch angeschlendert. Ein bisschen hatten wir es befürchtet: Für den gleichen Tag gibt es keine Tickets mehr. Aber am nächsten, um 9:30 Uhr. Aber was soll man im Hellen sehen, falls sich die aufziehenden Wolken wieder auflösen? Irgendwann schnallen wir, dass er von 9:30 Uhr abends spricht.
Auch das passt uns nicht so richtig in den Kram, wollten wir doch weiter nach Norden fahren, und was sollen wir hier den ganzen nächsten Tag machen? Also sagen wir Danke und Tschüss und ziehen enttäuscht von Dannen. Wir werden erst mal den Zeltplatz suchen und dann einfach mal zum Observatorium fahren, dass laut Reiseführer täglich bis 20 Uhr geöffnet hat. Auch da warten die Enttäuschungen schon: Der Zeltplatz ist zu (Ende Februar endet in Chile oft die Saison) und das Observatorium ist ebenso verschlossen, öffnet laut Sicherheitsfrau nur für die abendlichen Führungen ab halb zehn. Ja, solche Momente sind auf einer Reise immer ganz schwierig, was wollen wir jetzt machen? Auf dem Rückweg kommen wir an einer Art Rastplatz mit ein paar Bänken und einem Bäumchen vorbei. Da heute die hier seltenen Wolken die brennende Sonne verdecken, wäre das doch ein guter Platz – wir beschließen kurzerhand, hier über Nacht zu bleiben. Aber es ist noch viel zu früh und trotz Wolken zu heiß, um dort zu bleiben. Auf dem Weg zurück zum Hauptplatz ändern wir dann doch unseren Plan. Wir lassen uns im Ticketbüro zwei Karten reservieren – nachts zweieinhalb Stunden mit Führung und Sternengucken im Anden-Observatorium, das hört sich doch gut an. Und der Himmel soll wieder sternenklar werden, damit wir das Kreuz des Südens vom „Cruz del Sur“ auch gut sehen können.
Da ist noch das „Problem“, den kommenden, wieder über 30 Grad heißen Tag rumzukriegen. Also fragen wir den jungen Mann am Ticketschreibtisch gleich mal, was man hier noch machen kann, einen sonnigen Tag lang? Nach zehn Minuten steht das Programm: eine Madonnen-Wallfahrtsstätte in Isla Negra und die Petroglyphen Rincón las Chilcas, beides Sachen, die wir nicht mal gesucht hätten, sie stehen nicht in unserem Reiseführer. Wieder oberhalb des Städtchens am Rastpatz erweist sich der seltene Wolkenhimmel als Glücksfall: Ein gigantischer Sonnenuntergang mit Andenglühen erwartet uns.
Am nächsten, wieder komplett sonnenbrutzelndem Wüstentag, drehen wir mit San Pedro die Runde zur angebeteten Madonna, die gar keine Statue, sondern ein mit Blumengirlanden und Kreuzkettchen behängter Wallfahrtsort ist. Später dann fahren wir auf endlich mal wieder staubigen Schotterstraßen zur archäologischen Stätte mit den uralten Steinritzungen. Die erreichen wir durch ein einfaches, staubiges Tor mit einem Hof mit Ziegen, zu dem uns eine sehr alte Frau mit Stock öffnet. Ureinwohner der Gegend von der Molle-Kultur haben die hunderte von Figuren und Zeichen vor ungefähr 2.000 Jahren in die Steine geritzt. Der Hügel hinterm Ziegenhof hatte eine sehr hohe rituelle und kosmologische Bedeutung. Der Stand der Sonne in den Bergen hinter den Steinritzungen markierte den Anfang von Winter und Sommer, existenziell für die frühen Bauern. Uns steht die Sonne einfach nur zu hoch, wir ziehen uns ins Auto zurück, das zum Glück im Schatten steht.
Als letzten Höhepunkt dieses Tages erleben wir die halbe Nacht lang eine enthusiastische, wenn auch in Spanisch geführte Observatoriumstour mit vielen Erklärungen zu den Sternen, der Astronomie besonders in Chile mit seinen vielen Beobachtungsposten und zur Erde in den kaum fassbaren Dimensionen des Weltalls. In einem der viel Observatorien durften wir dann endlich den Sternen näher kommen. Es geht ran ans recht große Teleskop, durch das wir auf einen sterbenden Roten Riesen im Orion gucken, einem jungen, noch nebligen Stern im Skorpion und dann natürlich das Südkreuz, in dem sich einer der vermeintlich vier Stern durch die Linsen als ein Haufen von einer Million Sternen Tausende Lichtjahre weit weg entpuppt. Zum Schluss kriegen wir noch eine Ecke des Mondes mit riesigen Einschlagkratern ganz nah zu sehen.
Abseits der Touristenströme in kleinen Orten und auch mal ohne Reiseführer lassen sich tatsächlich Kleinode entdecken. Wir sind froh, unseren Plan über den Haufen geworfen und uns mal auf was anderes eingelassen zu haben. Bevor wir Combarbalá gen Norden und mit dem Reiseführer als Leitfaden verlassen, müssen wir nochmal anhalten: Den Freitagsmarkt, auf dem es von Obst, Gemüse und Topfplanzen über Spielwaren, Klamotten und Werkzeug bis Musikboxen, Specksteinkitsch und Sonnenbrillen fast alles gibt, können wir uns doch nicht entgehen lassen.
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