In Chiles Weinregion genießen wir edle Tropfen und das Flair eines Festivals. Dort sehen wir unseren ersten Puma.
Der Mann an der Rezeption des Weinguts „Viña Parazzoli“ kriegt sich gar nicht mehr ein vor Lachen. Aber nicht wir Touris lösen das aus, die wir nach einer Führung oder zumindest einer Verkostung fragen – beides gibt es nicht, zumindest nicht mehr. In einem Heft über die „Ruta del Vino“, die Weinstraße, haben wir das Gut nahe der Kleinstadt Molina entdeckt, fahren hin und fragen nach. Was den Weinbauern so erheitert, ist das Infoheft. „Das Ding ist 20 Jahre alt und alles andere als aktuell“, sagt er kopfschüttelnd und lacht erneut. Der größte Teil der dort aufgelisteten Güter mache beim Projekt Weinstraße schon lange nicht mehr mit. Einen überraschenden Vorteil hat das veraltete Heft aber, das wir vom Betreiber eines Zeltplatzes als Wein-Wegweiser gekriegt haben. Der Mann vom Weingut gerät nicht nur in Erzähllaune über sein Weingut. Plötzlich verschwindet er in einem der Büros und kommt mit zwei Flaschen Rotwein zurück, die er uns unbedingt schenken will: ein Cabernet Sauvignon von Reben gleich hinter dem Gutshaus und ein Carmenere (für uns was Neues) von Hügeln näher am Meer. Wie könnten wir da Nein sagen?
„Viña Parazzoli“ liegt ein paar Kilometer außerhalb des Städtchens Molina, wo wir den Tag zuvor waren und ein Unterkunftserlebnis der besonderen Art hatten. Völlig geschafft von der Hitze auf der Fahrt nach Molina und durch die, wie in Chile nachmittags üblich komplett verstopften Straßen, ergattere ich schon bei der zweiten Runde um den Hauptplatz eine Parklücke und sogar unter einem schattigen Baum. Wir bleiben erst mal im Auto hocken und lassen die Kräfte ganz langsam zurückkommen. Unterwegs haben wir vergeblich nach zwei Zeltplätzen geguckt, die es in der App, aber nicht in Molina gab. Und jetzt? Außerhalb von Orten sind Standplätze kaum zu finden: jedes Fitzelchen Land ist eingezäunt und vermeintliche Feldwege enden nahezu immer an Toren. Eine Touriinfo finden wir in unseren Apps erst gar nicht. Wir klettern schließlich aus unserem Camper und wollen über den Hauptplatz schlendern. Plötzlich steht an einer Art bemalten Container gut acht Meter von unserem Auto weg „Casa de Turistas“. Nix wie rein und versuchen, um Hilfe bei der Schlafplatzsuche zu bitten. Eine Frau und ein Mann, die sich uns annehmen, verstehen die Frage. Aber mit der Antwort ist es schwierig. Die Frau schlägt Cabañas (Hütten) ein Stück weg vom Zentrum vor. Nur nützt uns ohne chilenische SIM die Nummer nichts, die sie aufschreibt. Aha. Na da nimmt sie ihr Handy und fragt an. Alles voll. Auch bei anderen Cabañas erhält sie für uns eine Absage.
Das habe wohl mit dem Folklore- und Weinfest zu tun, dass zwei Tage später startet, sagt sie. Da werden wir hellhörig und fragen nach. Der Mann sagt auch gleich, wie toll das Fest mit Musik, vielen Buden und Weinständen ist. Ob wir vielleicht gleich am Hauptplatz im Auto schlafen könnten? Normalerweise stört das niemand, aber er sagt vehement, Nein. Abends sei das der Treffpunkt der Trinker und Drogenabhängigen. Da hat er eine Idee und ruft gleich irgendwo an. Wir verstehen was mit Hotel und Englisch sprechendem Besitzer. Der hat noch ein Zimmer frei. Nach der Beschreibung muss es ganz in der Nähe sein, aber genau verstehen wir das nicht. Als es auch die Frau vergeblich mit einer langsam sprechenden Wegbeschreibung versucht, schnappt sie uns kurzerhand und bringt uns die 500 Meter hin. Wir kommen mit dem Manager für eine Nacht überein, ich bugsiere den Camper auf den engen Hinterhof und wir beziehen das Zimmer. Dann lassen wir uns das mit dem Fest nochmal in Englisch genau erklären und entscheiden uns, den Freitag dort hin zu wollen. Da am Wochenende auch das Hotel voll ist, buchen wir kurzerhand übers WLAN zwei Nächte in einem Hostal in Curicó, der nächsten Stadt.
Wir hatten uns schon gewundert, was wir am Stadion sollten. Aber schon am Eingang sehen wir die riesige Bühne am Ende des Fußballplatzes. Erstaunt sind wir gleich nochmal: kein Eintritt, nur nett lächelnde Securityleute, die nicht mal den Rucksack sehen wollen. Der Fußballplatz mit der professionellen Riesenbühne, einem Dutzend Craftbier-Ständen auf der einen und nochmal soviel Buden für Weingüter aus der Region auf der anderen Seite ist lange nicht alles. Nach Ständen mit Schmuck, Klamotten, Spielzeug oder Schnitzereien öffnet sich noch ein Platz mit kleinerer Bühne und den fast vermissten Ständen mit Essen: Von Grillfleisch über Empanadas bis Pommes ist alles dabei, was satt macht. Unter einem riesigen Zeltdach sitzen die Leute an Tischen und essen. Dann rücken die ersten ihre Stühle zur Bühne vor. Dort spielen traditionelle Musikanten auf und vor der Bühne führen Kinder und Jugendliche in bunten Röcken bzw Gauchosachen nebst Reiterstiefeln ebenso traditionelle Tänze auf, unter dem Jubel ihrer Handys zückenden Angehörigen. Wir setzen uns auch nach vorn und lassen Tänze und Tänzer auf uns wirken.
Dann wird es Zeit für den ersten Musikact. Auf die Bühne kommen „Los Tigres“, drei Musiker und zwei Sänger im Cowboyoutfit. Was die Tiger da aufspielen, ist eine Art chilenischen Stimmungsmusik, die fast alle Gäste mitsingen können. Die Musik ist folkloristisch, ganz anders als bei uns und sehr ansteckend. Selbst die rapperartige Gruppe, die nach den Tigern kommt, nehmen wir noch mit. Dann wird es dunkel und wir verlegen unseren Beobachtungsposten auf einen der Haufen Heuballen, der vor den Weinständen liegt. Mit einem Festglas und Probiercoupons probieren wir uns durch ein paar Weingüter, die endlich ihre Stände aufgemacht haben. Auf der Hauptbühne gibt es derweil ebenfalls ein folkloristisches Aufwärmprogramm bis der Hauptact des Abends endlich startet. Plötzlich stehen zwei Chilenen vor uns und fragen, woher wir sind. Bei Alemania jubelt der eine – die beiden hatten gewettet, ob wir Spanier oder doch eher Deutsche sind. Hier beim Fest in Molina sind wir echt Exoten, fallen allein durch unsere Größe, Hautfarbe und unser Outfit auf.
Inzwischen ist es fast zehn und auf der Bühne überbrücken noch immer Redner die Zeit und preisen den erwarteten Sänger als einen der wichtigsten für die lateinamerikanische Musik an. Dann geht endlich das Licht aus, die Zuschauer jubeln und der Spot erfasst einen alten, grauhaarigen Mann, der im Anzug an einem Barhocker lehnt: Es ist José Luis Rodríguez González, genannt El Puma. Er führt das Mikro zum Mund und singt Balladen und Chansons, die ein wenig an Frankreich erinnern und ganz viel Gefühl vermitteln. Neben uns steht ein Argentinier, der Tränen in den Augen hat, vor Begeisterung, sagt er uns. Er überträgt seiner Mutter zu Hause einen Titel mit dem Handy und wir dürfen ihr beim Schwenk zum Publikum zuwinken. Wir sagen ihm, dass wir wochenlang in Patagonien waren, aber erst hier einen Puma erleben – er lacht herzlich.
Wir verstehen zwar nicht alle Texte, lassen uns aber von der Puma-Begeisterung anstecken. Es ist Mitternacht, als wir das Festgelände verlassen, uns kommen noch immer Besucher entgegen. Tiger, Puma und Carmenere fordern ihren Tribut – wir sind müde und machen uns auf den Heimweg.
Ein Kommentar
von kolja: bei der Überschrift freute ich mich auf den Puma und dann gab es nur Bilder mit Wein und Disco.