In Santiago de Chile erleben wir ein paar Tage lang das ganz spezielle Getümmel einer südamerikanischen Metropole.
Ich schiebe die Schuld „San Pedro“ in die Schuhe, besser: in die Reifen. Den kleinen Campervan, den wir jetzt so nennen, haben wir in den acht Wochen in Südchile so sehr schätzen gelernt, das wir ihn und seine Vorteile mobiler Unabhängigkeit auch im Norden nicht missen wollen. Wir verlängern die Miete und müssen deswegen zum Vermieter am Nordrand von Santiago. Ich habe nach den Erfahrungen in Mexico City und in Quito, wo wir beklaut worden sind, keine große Lust auf die nächste riesige Hauptstadt mit ihren Schattenseiten. Jeanette dagegen freut sich auf Kultur, Gewimmel und Stadtleben. Also lassen wir uns erklären, wie wir ins Zentrum kommen und erwischen auch gleich einen kleinen Bus mit Pappschild „Mapocho“ als Ziel im Fenster.
Um es gleich zu verraten: Meine kriminellen Befürchtungen bewahrheiten sich nicht. Wir haben noch immer alle Geldkarten, Portemonnaie, Handys und Rucksäcke. Was wir in zweieinhalb Tagen in der 8-Millionen-Stadt vor allem erleben, sind jede Menge Gegensätze. Vor dem ersten hat uns der Fahrer des Busses noch gewarnt: Er führt Zeige- und Mittelfinger an seine Augen und dann zu uns. Seid auf der Hut, soll das wohl heißen. Gleich da, wo wir aussteigen, sind viele Obdachlose und Betrunkene vor einem wunderschönen Bau Mit Jugendstil-Elementen zu sehen, der als Bahnhof geplant war und jetzt ein Kulturzentrum ist. Ich zücke trotz der Warnungen das Handy.
Durch Häuserschluchten laufen wir zum zentralen Platz, wo sich die neoklassizistische Kathedrale und repräsentative Bauten der spanischen Herrscher in den Glasfassaden moderner Bürogebäude spiegeln. Etwas weiter hinten steht ein Reiterdenkmal Pedro de Valdivias, der Santiago 1541 gründete, neben dem fliegende Händler lauthals Eis, Wasser oder Empanadas aus großen Styroporboxen anpreisen. In einer Fußgängerzone wirkt das spitz zulaufende Gebäude der Börse aus dem späten 18. Jahrhundert noch schmaler neben riesigen, verspiegelten Bankentürmen als es ist. Und überall fluten Menschenmassen durch die Straßen – wir haben die Mittagspause erwischt. Geschniegelte Banker in Maßanzügen (trotz der Hitze in voller Montur) lassen sich von ärmlich gekleideten Schuhputzern die teure Fußbekleidung wienern. In geschützte Ecken sind Notbehausungen aus Pappkartons gebaut. Neben dem Eingang zu einem klimatisierten Shoppingcenter liegen auf wackeligen Holzgestellen Tomaten, Zwiebeln und Kartoffeln.
Unser Hotel finden wir in der laut Reiseführer einzigen geschwungenen Straße der Stadt, wo sonst alles wie auf dem Schachbrett angelegt ist. Wir logieren in einem der alten, meist liebevoll erhaltenen, dreietagigen Patrizierhäusern aus den 1920er Jahren entlang der gepflasterten Straße Londres. In dem kleinen Viertel mit Pariser Charme geht es gemütlich zu. Wo das Pflaster aufhört, ragen plötzlich runtergekommene, zwölfetagige Wohnblocks in die Höhe und Passanten raten uns beim Fotografieren, das Handy lieber einzustecken, bevor es uns jemand aus der Hand reißt. Aber wir sind offenbar vorsichtig genug.
Es geht schnell, dass ich meine Befürchtungen überwinde und wir die Zeit in der Hauptstadt genießen. Wir laufen durch die Straßen, Parks und vier Museen und lassen die Eindrücke einfach auf uns wirken. Um das Ausmaß Santiagos zu erleben, lassen wir uns mit der Standseilbahn auf den bewaldeten Berg San Cristobál, nicht weit vom Zentrum hochfahren und steigen weiter Treppen hinauf zur riesigen, schneeweißen Jungfrau, neben der noch höhere Funkmasten in den Himmel ragen. Und weiter geht es mit den Gegensätzen: Am Aussichtspunkt verschlägt einem der Blick über das Häusermeer im gigantischen Talkessel fast den Atem, jedenfalls soweit der Smog den Blick zulässt. Genau hinter dem mit 300 Metern höchsten Bauwerk Lateinamerikas, dem Torre de Santiago, ragt ein schneebedeckter Andengipfel viel weiter empor.
Am nächsten Vormittag dann, nehmen wir wieder den Bus aus der Stadt hinaus, um San Pedro abzuholen. Auf dem Weg zum Busbahnhof, auf der anderen Seite des in ein Betonbett gezwungen Flusses Mapocho kriegen wir dann noch einen kleinen Eindruck der Schattenseite Santiagos: brüchige, verdreckte Fußwege, baufällige flache Häuser, verfaulende Obsthaufen vor dem Markteingang. Aber alle Leute grüßen uns freundlich und lassen uns in Ruhe. Dann bringt uns der Bus weg vom Zentrum. Den Camper erkennen wir kaum wieder, so sauber ist er gewienert. Alle nach knapp 7.000 km und viel Gerüttel lockeren Schrauben sind alle wieder fest, wir haben neues Bettzeug, einen größeren Tisch und die vom Staub verkleben Schiebetüren Rollen wieder leicht. Auf geht es in neue, trockener Gegenden bis zur Atacamawüste und rein in neue Erlebnisse und Abenteuer. Wir sind schon sehr gespannt auf die nächsten Gegensätze.
Zwischen Palmen geht es noch ins Naturhistorische Museum.
Ein Kommentar
Was für ein Moloch, diese Hauptstadt. Danke für den spannenden Bericht und euch weiter gutes Reisen. Der Camper scheint dafür ein gute Idee gewesen zu sein.