Im Dörfchen Chepu auf der Insel Chiloé waren wir schon einmal und hatten dort schöne Tage bei Gasteltern. Wir sind jetzt kurzentschlossen wieder hingefahren. Wie sich die Reunion – das Wiedersehen anfühlt – und andere Abenteuer.
Das Spiegelei muss warten. Am Sonntagmorgen auf dem Gaskocher gebraten, ist es schon zum Ritual auf der Reise geworden. Jetzt schippern wir zur Frühstückszeit durch dichten Nebel. Punkt 7 Uhr, die Sonne ist noch nicht aufgegangen, treffen wir Fernando vor seinem Haus. Unter dem sich langsam orange und rot verfärbenden Himmel führt er uns mit seinem kleinen Trecker – wir im Wägelchen mit Sitzbrettern dahinter – einen gewundenen, in den Wald geschlagenen Weg den steilen Hang hinunter.
Ein breiter Fluss beendet die Rüttelfahrt. Ein Holzsteg führt dort in den Fluss Chepu hinein. „Mein selbstgebauter privater Hafen“, sagt der Mann hörbar stolz. Im Nebel, der dicht über das Wasser wabert, schaukeln zwei Motorboote, eins davon mit 30 Sitzen, das andere halb so groß mit Bänken an der Seite. 2013, als wir auf unserer ersten großen Reise bei ihm und seiner Frau ein paar sehr schöne Tage verbracht haben, hatte Fernando ein ganz kleines Motorboot, mit dem er uns über den Fluss zu einem Wanderweg in den Nationalpark auf der anderen Seite gebracht hat. Da hat sich einiges verändert. Und heute machen wir auch eine ganz andere Tour.
Am Tag zuvor haben wir einfach mal die Richtung gewechselt und sind statt nordwärts gen Süden abgebogen. Von Puerto Montt aus zur Fähre und mit der auf die Insel Chiloé zu fahren, haben wir uns am Vorabend erst überlegt. (Unser Laptopproblem hatte Moses viel schneller gelöst als wir gedacht hatten – wir haben also quasi Tage gespart.) Als der Campervan vom Schiff auf die Insel rollt, überkommt uns dann doch ein kleines mulmiges Gefühl: Ob die Gasteltern von 2013 noch dort sind? Wenn ja, ob sie mit unserem Gerede von „schon mal hier gewesen, damals“ was anfangen können? Erkennen wir das Haus überhaupt wieder? Ob unser Wiedersehenswunsch vielleicht nach hinten losgeht? Ach, was solls, probieren wir es einfach aus.
Anders als in unserer vielleicht verschönernden Erinnerung wird es auf jeden Fall, allein bei uns. Nicht nur sind die Haare heute grauer, wir fahren im Mietauto von der Hauptstraße auf die Schotterpiste ab, die wir damals zu viert mit Ilka und Elmar getrampt sind. Und dann wird aus dem Gerüttel plötzlich ein Dahinsurren: Asphalt, den es vor elf Jahren auch nicht gab. Entsprechend mehr Autos sind unterwegs in das einst sehr abgelegene Dorf. Ganz am Ende Chepus, inzwischen wieder auf dem Schotterweg, finden wir das Haus fast da, wo wir es vermuten. Das ist aber verschlossen und die Klingel verhallt ungehört. Aber es gibt noch eine Möglichkeit. Auf der Wiese gegenüber steht noch ein Haus, ein flaches, dessen riesige Fenster den Blick über ein weites Tal und steil hinunter auf den Rio Chepu freigeben. Das damals neue Gebäude wurde nur zu ganz besonderen Anlässen aufgeschlossen, wenn eine größere Gruppe das Essen bestellt hatte, für das die Insel berühmt ist: Curanto, ein im Erdloch auf heißen Steinen gegarter Eintopf mit allem, was Feld, Fluss und Meer hergeben. Heute ist dort ein täglich geöffnetes Restaurant und etliche Autos parken davor. Wir holen tief Luft und gehen rein. Durch die offene Küchentür erkennen wir die Frau sofort wieder, die uns damals so herzlich und gar nicht auf den Mund gefallen in ihren Gästezimmern aufgenommen hat. Enriqueta schaut nach unserem „Buenos Dias“ kurz vom riesigen Topf, in dem sie rührt auf und murmelt was von „einen Augenblick“.
Als Jeanette ihr klar gemacht hat, dass wir vor fast genau elf Jahren bei ihnen waren und mal wieder Hallo sagen wollen, lächelt sie verhalten. Aber sie nimmt sich die Zeit, uns anzuhören. Offenbar kommen bei ein paar Erwähnungen (mich hat sie immer Paparazzi genannt und uns haben sie die Wanderkarte handgemalt) auch bei ihr bruchstückhafte Erinnerungen hoch. Wir lassen sie weiter arbeiten und versprechen, abends wieder vorbei zu kommen. Inzwischen machen wir uns auf zum in gar nicht weiter Ferne rauschenden Pazifik. Beim Versuch, so weit wir möglich zu fahren, hätten wir fast noch den armen Campervan festgefahren. Das letzte Stück Weg, (Straße kann man das wirklich nicht nennen) geht steil nach unten und ist so ausgewaschen, dass nur Allradautos wieder hochkommen. Als uns das klar wird, ist es fast zu spät. Der Versuch, zu wenden um es wieder bergauf zu schaffen, endet mit totalem Stillstand: Eins der hinteren Antriebsräder klemmt am Radkasten, das andere dreht sich hilflos in der Luft. Allein kann Jeanette uns nicht befreien. Zum Glück versuchen noch andere Touris diesen irren Weg und helfen uns, dem „Luftrad“ mit Steinen wieder Halt zu geben und das Auto anzuschieben. Mit Vollgas rüttelt sich unser Gefährt tapfer durch Geröll, tiefe Rinnen und über Felsbrocken wieder bis nach oben. Uff, das war knapp. Aber jetzt bin ich sicher, dass das als schwach eingeschätzte Auto (irgendwas um 50 PS) viel mehr schafft, als ich dachte. Wir parken den Camper oben im Schatten, helfen noch zwei anderen Mietwagen steil schiebend bis auf sicheres Gelände und wandern lieber über Dünen und durch zum Glück gerade trockenes Sumpfland bis zum Meer. Das lässt ordentliche Brecher bis auf den breiten Strand rollen. Nur noch ein paar wackere Angler sind zu sehen, sonst sind wir allein auf weiter Sand-Flur.
Am Abend klingeln wir wieder am Haus. Enriqueta lässt uns rein und Fernando ist jetzt auch von seiner Flusstour mit Bustouristen zurück. Beide begrüßen uns freudig und mit den Gästebüchern in der Hand. Nach einigem Blättern finden wir unseren Eintrag vom 9. März 2013. Das lässt alle Zweifel dahinschmelzen. Die beiden sprechen zwar nur Spanisch, aber dank Jeanettes Kenntnissen und dem Übersetzer im Handy entwickelt sich ein munterer Austausch und es gibt viel zu lachen. Vor allem Enriqueta neckt uns immer wieder, so wie damals. Zum Abschied für den Abend lassen sie uns auf ihrem Grundstück übernachten und überreden uns sogar, am Sonntagmorgen mit Fernando im Boot auf den Chepu zu fahren, zur Sonnenaufgangstour, bei der noch Plätze frei sind. Fernando verabschiedet uns mit der Drohung, uns um 7 mit festen Schlägen gegen das Auto zu wecken, wenn wir nicht pünktlich da sind.
Im Boot mit lauter Chilenen sind wir bis 11 auf dem Fluss unterwegs auf einer richtig schönen und mystischen Tour durch dichten Nebel. Zwischen im Wasser stehenden toten Bäumen hindurch, die von der ein bisschen durch den Morgennebel dringenden Sonne wie Geister angeleuchtet werden. Als der Fluss zu eng wird und der Dunst schließlich weg ist, fahren uns Boot und Trecker zurück zum Camper, in dem die Eier auf die Pfanne warten. Enriqueta, die schon wieder das Essen für die nach und nach eintrudelnden Gäste kocht, schaut kurz vorbei und drängt uns zwei große, herrlich duftende, weil frisch gebackene Brötchen auf. Unserem späten Frühstück mit Müsli und danach Spiegelei auf einem älteren Brotrest traut die resolute Frau nicht zu, uns satt zu kriegen. Wir leisten keine Gegenwehr. Mit dem Austausch der Telefonnummern (in Chile ist Whatsapp die unverzichtbare Art der Kommunikation) und unserem Versprechen, ihnen aktuelle und Bilder von 2013 zu schicken, werden wir in den Arm genommen und herzlich verabschiedet. Um das Versprechen, das nächste Mal früher als in elf Jahren vorbei zu kommen, drücken wir uns mit Nichtverstehen. Dann machen wir uns mit richtig frohen Herzen auf den Weg zurück in den Norden.
3 Kommentare
Hallo ihr beiden Weltreisenden, ja das glaube ich euch gerne , das es in Chepu schön ist. Eine wirklich tolle Gegend!!! Wir hatten die beiden 2016 auch nochmal besucht und wurden wieder aufs herzlichste empfangen 🙂 Ich hoffe ihr habt Grüße von mir bestellt!? Eine gute Weiterfahrt für euch in den Norden. Fühlt euch umarmt. Vg Ilka
Ja, Ilka, wir haben den beiden Grüße von dir bestellt. :-))
whow, was für Luftspünge – ihr seid fit! Und tolle Bilder aus einer anderen Welt. Euer Bericht war mir eine schöne Lektüre zum Frühstückskaffee, seid gegrüßt aus Albersweiler!