Annäherung an ein hochprozentiges Wahrzeichen Mexikos, das manch überraschenden Inhalt hat.

Der Busfahrer schaut verständnislos. „Ihr wollt aussteigen?“ „Ja, das wollen wir.“ „Hier?“ „Ja, genau hier!“ Aber statt einfach auf der komplett leeren Straße kurz anzuhalten, wie es üblich ist, fährt er weiter bis zur nächsten Einfahrt. Unsere Spanischlehrerin, Linette, ist sauer und schimpft vor sich hin: „Ich habe doch geklingelt. Aber der Kerl hatte so laute Musik an, dass er es nicht hören konnte.“ Wir müssen in der Mittagshitze ein ganzes Stück zurücklaufen. Linette hatte geklingelt, wo ein Schild an der Straße steht; „Fabrica de Mezcal“. Und diese Mezcal-Fabrik wollen wir uns ansehen. Wobei: Fabrik erscheint uns ganz schön übertrieben, als uns eine junge Frau die Schritte und Geräte erklärt, in denen aus Agavenpflanzen ein hochprozentiger Schnaps wird.

Mezcal ist das Nationalgetränk der Mexikaner und Hauptherstellungsgebiet ist der Bundesstaat Oaxaca, in dem wir gerade sind. Bei uns in Deutschland ist vor allem Tequila bekannt, eine der vielen Mezcal-Arten. Tequila wird nur in der Umgebung der Stadt Tequila und ausschließlich aus der blauen Agave destilliert. Aber es gibt noch Dutzende andere Arten, deren Fruchtfleisch sich für Schnaps eignet. Geschmack und Aussehen des 40- bis 42-prozentigen Getränks variieren je nach Art der Agave, der Region, der Zubereitung und der Lagerung. Eine mexikanische Weisheit haben wir gleich am Anfang unserer Reise von Einheimischen gelernt: Mezcal ist was für richtige Machos, Tequila für alle anderen Leute. Allerdings: hier trinken alle Mezcal. Und da schließen wir uns doch gerne an.

Diese Sorten Mezcal kosten wir dann.

Aber erst müssen wir lernen, wie das Zeug hergestellt wird. Und in der „Fabrica“, die wir nahe Puerto Escondido besuchen, geschieht das auf sehr urige, also auf sehr traditionelle Art. Die Herzen der Agaven, also die ananasförmigen Teile, wenn die Blätter abgeschlagen sind, kommen in eine Erdgrube, die mit im Feuer erhitzten Steinen ausgelegt sind. Darüber liegen Palmenblätter und oben drauf Erde. Nach fünf Tagen in dem Loch haben die Herzen das Aroma von Erde und Rauch angenommen. Dann landen sie in einem Trog, wo sie mit einer Holzhacke in Fasern zerklopft werden. Die werden dann in große, schmuddelige, rosa Plastikbottiche geschaufelt, die in einer Ecke unterm Palmendach stehen. Mit erst heißem, dann kaltem Wasser übergossen fermentiert das Gebräu nun sieben Tage vor sich hin. In dem mit einem Rohr verschlossenen Kupferkessel, der im mit Holz befeuerten Ofen steckt, wird des Zeug zwei Mal destilliert. Der Schnaps kondensiert dabei in einem Wasserbad in Rohren. Er tropft in einen Plastikkanister und wird von da in Flaschen gefüllt. Soweit der technische Teil. Alles verstanden, was Linette uns vorsichtshalber ins Englische übersetzt hat?

Jetzt kommt der beste Teil der Führung: die Verkostung. In kleinen Holzschälchen reicht uns die Verkäuferin Kostproben aus zehn verschiedenen Glasballons. Vom Mezcal nach Art des Hauses über einen süßen, einen mit Wurm, einige aus wilden Agavenarten bis zu einem voller Kräuter nippen wir die Kostproben in uns rein. Der Geschmack ist sehr unterschiedlich, aber alle schmecken gut. Wer es richtig hart mag, kann den Mezcal mit Skorpion darin wählen – den gab es aber nicht zum Kosten, vermutlich des heftigen Preises wegen.

Die große Frage dann: welchen von den in der Mittagshitze gekosteten Sorten sollen wir nun einkaufen? Eine Flasche Mezcal wollten wir von Anfang an mitnehmen. Das Hausgetränk ist echt lecker, uns aber zu teuer: weil es in einem Tongefäß statt dem Kupferkessel destilliert wurde, verlangt man richtig was. Wir nehmen dann einen der frisch abgefüllten – und den mit einem Wurm drin. Die frischen Schnäpse sind rauchiger und nicht so glatt im Geschmack wie die gelagerten. Und dann der kleine Wurm, der ist zumindest exotisch und soll den Geschmack des Liters Schnaps wirklich beeinflussen?! Das Tier lebte einst auf und von einer Agave, also warum sollte es nicht auch geschmackliche Spuren hinterlassen? Der tierische Mezcal schmeckt uns jedenfalls sehr gut. Allerdings wissen wir noch nicht, ob wir den im Schnaps ertrunkenen Wurm am Ende mit runterschlucken.

Die „Fabrica de Mezcal“.

Gleich nach Verkostung und Verkauf stehen wir wieder im heißen Staub vor der „Fabrik“, die von hier eher nach provisorischer Bretterbude aussieht. Gleich daneben liegt die Schnellstraße in der gleißenden Sonne. Dort sind auch die Busse zurück ins Städtchen unterwegs – Linette muss eiligst los, denn in der Sprachschule wartet schon die nächste Schülerin auf die Frau Lehrerin. Aber wenn man es mal eilig hat … dauert es ein Weilchen, bis der nächste Bus kommt und auf unser Winken reagiert. Haltestellen gibt es hier ja nicht. Knapp eine viertel Stunde muss die Schülerin dann doch warten. Linette entschuldigt sich mit starken Kopfschmerzen bei ihr.

Wir kommen am nächsten Morgen trotz einiger leckerer Mezcal-Kostproben am Abend ohne Kopfweh in ihren Unterricht. Die Brenner in der simplen Fabrik verstehen was von ihrem Handwerk.

4 Kommentare

  1. Liebe J. und J., vielen Dank für die schönen Bilder…ich würde jetzt auch gern einen Agavenmezcal tringen….dann würde dieser zurzeit langweilige Bürojob vielleicht etwas mehr Spass machen :), viele Grüße von Selma und Ellen

  2. Ahoi ihr zwei Schluckwürmer, wird Mezcal der neue Gin?? Ich hoffe nicht.
    Immer wieder schön, die „Sendung mit der Maus“ zum Lesen.
    Liebste Grüße
    Anja

Schreibe einen Kommentar zu Ellen Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.