Egal wo und wie wir reisen, einen ersten Anlaufpunkt suchen wir in jedem Ort zuerst auf – den Plaza de Armas, der aber nicht immer so heißt.
Seifenblasen fliegen zwischen den Leuten durch. Kinder versuchen, sie zu fangen. Auf dem Rand des Springbrunnens, der exakt in der Mitte des quadratischen Platzes steht, sitzen Liebespaare. Familien hocken im Gras unter Palmen und breiten ihr Essen auf Decken aus. Übertönt wird das Stimmengewirr von lauter Musik. Um den Platz herum ziehen Musikanten mit Blasinstrumenten und Trommeln. Vor und hinter ihnen tanzen Gruppen in traditionellen rotweißen oder in an Karneval erinnernde glitzernd blauen Kostümen mit Schellen an den Beinen. Auf dem Plaza de Armas, übersetzt Platz der Waffen, gibt es auch in Perus Hauptstadt Lima viel zu sehen. Unseren ersten Eindruck verschaffen wir uns auch im letzten Ort unserer fünfeinhalbmonatigen Reise auf dem zentralen Platz. Seinen militanten Namen haben diese Hauptplätze in Südamerika daher, dass die spanischen Stadtgründer (oder -umgestalter) in einem Haus am Platz das Waffenarsenal lagerten. Die brauchten die Soldaten, um angreifende Indios in Schach zu halten. Heute sind die Plätze eher wie Parks und Haupttreffpunkte für die Bewohner.
Hinter einem hohen Zaun, der einen riesigen Palast an der Nordseite des Plazas umschließt, schieben Soldaten mit Schäferhunden Wache, ihre Maschinengewehre haben sie lässig umgehängt. In dem Gebäude hinter ihnen residiert der Präsident. Überhaupt stehen die wichtigsten Bauten um den Platz rum: Kathedrale, Rathaus, Banken und einstmals repräsentative Wohnhäuser der Stadtoberen, in denen heute meist Restaurants und – für uns sehr wichtig – Anbieter von Touren in die Umgebung ihre Domizile haben. Manchmal gleichen die Plazas de Armas eher Marktplätzen, einige sind mit riesigen Bäumen und bepflanzen Beeten verschönert, manche machen, fast komplett gepflastert, einen eher tristen Eindruck. Vor manchen warnen uns Leute vor allem abends wegen Taschendieben, Bettler oder Betrunkenen. Auf anderen Plätzen werden Polizeiorchester von den Besuchern gefeiert. Fast immer erleben wir auf und um die Plätze Überraschungen.
In Puno, der hoch in den Anden gelegenen Stadt am Titikakasee, sitzen wir abends, mit Jacken gegen den kühlen Wind geschützt, auf einer Bank. Ich bin den ersten Abend wieder unterwegs, nachdem mich die Höhenkrankheit ausgenockt hat. Nebenan jagen sich die Kinder einer Indiofamilie lauthals um die Bänke und Bäume. Alte Frauen in dicken Röcken und mit den viel zu kleinen Melonenhüten der Quetschua auf den Köpfen versuchen Süßigkeiten oder Webarbeiten zu verkaufen. Alles wirkt gelassen und friedlich. Plötzlich schallen wilde Trommelrhythmen aus einer der Straßen, die auf den Plaza de Armas münden. Ein Trupp junger Männer mit großen Trommeln und ebenso wild gespielten Panflöten führt zwei Dutzend Mädchen in Alltagskleidung aber fehl am Platz wirkenden bunten Röcken auf den gepflasterten Teil des Plazas. Dort üben sie einen Tanz ein. Dann ertönt konträr dazu erneut Trommel- und Flötenmusik aus einer anderen Straße: noch eine Gruppe mit Tänzerinnen rückt an und die Jungs an den Instrumenten versuchen, die bereits übende Gruppe aus dem Konzept zu bringen. Aber die spielen umso lauter und die Mädchen drehen sich in ihren Röcken noch schneller. Nach einer Weile gibt die zweite Gruppe auf und formiert sich neben der Kirche neu, zieht dann aber weiter, vielleicht auf einen anderen Platz, der groß genug zum Üben ist. Puno rühmt sich, einen der größten und buntesten Karnevals in Peru zu haben. Vielleicht üben die Gruppen dafür?
Viel archaischer geht es dagegen auf dem Hauptplatz in Barraranca zu, einer eher lauten Stadt an der Pazifikküste. Während wir vor dem verschlossenen Laden des einzigen Touranbieters stehen, schallt die Nationalhymne scheppernd und laut dröhnend über den Platz. Es ist Sonntagmorgen und um den riesigen Fahnenmast stehen Soldaten in Uniform, Stadtobere in Anzügen, Vereine in Trachten, Polizisten und Sicherheitsleute stramm. In einer umständlichen und ruckartig ausgeführten Zeremonie wird die rotweißrote Fahne Perus auseinander gefaltet und in die Höhe gezogen. Wir frühstücken erstmal in einer Seitenstraße.
Der Touranbieter hat danach immer noch zu, was erstaunlich ist, wo doch sonntags sonst fast alles auf hat. Eine der nun nicht mehr stramm stehenden Frauen von der örtlichen Security fragen wir, wie wir trotzdem nach Caral kommen. 30 Kilometer entfernt wird dort die mit 5.000 Jahren bisher älteste Stadt auf dem ganzen amerikanischen Kontinent ausgegraben. Sie führt uns zwei Blocks weiter zu einem Hof, auf dem Autos stehen. Eins bringt uns in die nächste Stadt, wo wir an einem Kleinbus abgeladen werden, der uns bis zu den Pyramiden von Caral kutschiert. Als wir zurück sind in Barraranca, sind all die vielen Bänke auf dem eher kleinen parkähnlichen Hauptplatz dicht mit Menschen gefüllt. Überall wird geredet, gelacht, gekuschelt, gegessen oder gespielt. Hier scheint das Sonntagsleben hauptsächlich auf dem Plaza abzugehen. Wir setzen uns etwas abseits, weil da grad zwei Plätze frei werden und sehen dem Treiben eine Weile zu. Als der vom Meer heranziehende Dunst zu unangenehm wird, wandern wir wieder zum Hostel fast direkt am Strand.
In Chile war auch kein Plaza de Armas vor uns sicher, obwohl wir dort wegen des Unterwegsseins mit dem kleinen Campervan San Pedro die Plätze nicht so intensiv erlebt haben, wie in Peru als Busreisende von Stadt zu Stadt. San Pedro stand ja meistens außerhalb der Ortszentren. Aber die sehr gute Navigöse Jeanette hat gern einen kleinen Umweg in Kauf genommen, um wenigstens eine Ehrenrunde um die Plätze zu fahren, auch in Durchgangsorten. Bei den wenigen Gelegenheiten, bei denen wir uns ein Hotel gegönnt und die Stadt erkundet haben, sind wir auf einen ungewöhnlichen gestoßen. In Iquique steht weder ein Brunnen noch ein Heldendenkmal mitten auf dem Plaza Mayores, dem Hauptplatz. Dort ragt ein laut Schild dem Big Ben im fernen London nachempfundener Turm in den Himmel, wenn auch aus Holz gebaut. Davor sprudeln Wasserspiele, das haben wir nirgendsanders gesehen. Sympathisch an dem Platz sind auch die Verkaufsstände an einer Seite, die eher wie der Treffpunkt der Einheimischen zum Schwatz halten, denn wie florieende Geschäfte wirken. Unter den Bauten, die den Platz umstehen ist eines im spanisch-maurischen Stil mit herrlichen Fliesen an den Wänden gestaltet. Sehr ungewöhnlich ist in Iquique auch die mit hölzernen Gehsteigen und ungenutzten Straßenbahngleisen versehene Fußgängerstraße – auch wenn sie nicht direkt zum Plaza führt.
Den schrägsten der quadratischen Zentralplätze haben wir in Nordchile in der Wüste gefunden. Im Ort mit dem exotischen Namen Humbertstone ist es heute ein sandigen Wüstenplatz mit ein paar vertrockneten Bäumen, kaputten Bänken, zerbrochenen Schaukeln und Verkaufsständen, über denen Reste von Strohdächern löchrigen Schatten spenden. Das hört sich jetzt sehr vernachlässigt von den Bewohnern an – aber dort gibt es schon lange keine mehr. Die letzten der 3.500 Menschen, die in der Blütezeit des Ortes in den 1920er und 1930er Jahren dort meist sehr gut von Salpeterproduktion lebten, sind 1961 weggezogen. Der anfangs auch in Deutschland sehr beliebte Chilesalpeter, ein Dünger auf Salzbasis, wurde von Kali- und Kunstdünger verdrängt. Der nach dem Gründer der Nitratgesellschaft Peru benannte Ort Humbertstone wurde einfach aufgegeben. Im trockenen Wüstenklima ging der Verfall von Holz und Metall voran, aber langsamer. Das Städtchen lässt noch heute einiges seiner früheren Pracht ahnen. Die Unesco hat die zum Teil vom Einsturz bedrohten Reste 1970 unter Schutz gestellt. Heute sind einige der Bauten saniert und als Grossraummuseen gestaltet.
Auf dem von Sonne und Sand beherrschen Hauptplatz ist es zwar alles andere als gemütlich. Aber ringsum sind sehr spannende Bauten zu besichtigen. Neben dem Markt mit Turmuhr, dem Rathaus und der Kirche ist es vor allem das Theater, in dem noch alle Stuhlreihen erhalten sind. In spanischen Dekreten aus den Jahren 1480 und 1576 ist explizit festgelegt, dass Hauptkirche, Rathaus und repräsentative Gebäude – auch mal ein Theater – sowie das Waffenarsenal am Plaza Mayor zu stehen haben.
Den heutigen, morbiden Charme von Humbertone macht auch die Tatsache aus, dass Besucher, die Eintritt gezahlt haben, fast überall herumstromern können in Wohn-, Geschäfts- und Verwaltungshäusern. In mancher Wohnung sieht es so aus, als ob die Bewohner nur mal kurz weg sind. Im einstigen Kaufhaus erschreckt man sich fast, so lebensecht sehen Händler und Waren aus. Unweit vom Ort stehen die Reste der Salpeterfabrik und es ist ein Erlebnis, durch die Hallen zu wandern, deren Wellblechwände und -dächer löchrig geworden sind und bei jedem Windhauch klappern. Wenn man alleine dort drin steht und dem in den eindringenden Sonnenstrahlen tanzenden Staub über riesigen, aus Deutschland stammenden Maschinen zusieht, meint man fast, die Arbeiter von früher zu hören. Über den zentralen Platz von Humbertstone schallt dann wirklich noch der Ruf von Händlern. Im von der Wüste grau gefärbten Marktgebäude haben sich wieder ein paar Geschäfte eingerichtet und preisen wie früher dort Getränke, Eis und Naschereien an. Aber wir sind trotzdem froh, im nächsten Ort, in Maria Elena, einen grünen und wirklich lebendigen zentralen Platz zu finden.
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