In den Bergen von San Agustin im südlichen Kolumbien kommen wir einer Berühmtheit ganz nahe.

Das Tal des Magdalena-Flusses

Die Aussicht ist phantastisch. Schon von der ersten Plattform auf dem steilen Weg bergab liegt der tief in die Anden eingeschnittene Fluss Magdalena vor uns. Von hier sind es nur noch ein paar Stufen und wir stehen ihr von Angesicht zu Angesicht gegenüber: Chaquira. Gesang ist dort allerdings nicht zu hören, und diese Frau hier kann sich auch nicht so sexy bewegen, wie die ebenfalls aus Kolumbien stammende Sängerin Shakira. Ob der gleiche Name Zufall ist, wissen wir nicht. In der kolumbianischen Schreibweise bedeutet er jedenfalls Perle – wobei die mit Ch geschriebene Dame ihren Namen auch von einer dort wachsenden Palmenart haben könnte, oder aus einem ganz anderen Grund. Chaquira mag nicht ganz so berühmt sein, wie ihre singende Namensvetterin, aber sie ist definitiv rätselhafter.

Einige Steinfiguren-Beispiele der rätselhaften Agustin-Kultur sind im Museum gelandet

Um 700 hörte die Skulpturen-Schnitzerei plötzlich auf

Ganz jung ist Chaquira auch nicht mehr. Die gut zwei Meter große und in einen über das enge Flusstal blickenden Felsen geschnitzte Frau hat um die 2000 Jahre sichtbar überstanden. Die Figur gehört zu den teils spektakulären Hinterlassenschaften einer bis heute rätselhaften Hochkultur, die um das heutige San Agustin gesiedelt hat. Bereits vor Jahrhunderten verschwand sie ins Unbekannte. Was wir heute noch von damals sehen, sind in Größe und Erscheinung imposante Steinskulpturen, zwischen 200 vor und 700 nach Christus mühsam mit Steinwerkzeugen geschaffen. Dann hörte die Steinschnitzerei ganz plötzlich auf. Chaquira war da schon fertig. Sie ist eine Frau, die mit erhobenen Armen in einer gebetsähnlichen Stellung zu sehen ist. Vermutlich stellt sie die heilige Mondgöttin dar. In die Rückseite des Felsens ist dagegen ein Mann mit Sonnenstrahlen darstellendem Haarkranz gemeißelt. Auf der Seite gleich neben Chaquira ist noch eine Figur zu erkennen, die wohl die für die Natur zuständige Gottheit zeigt. Das allein legt nahe, dass die exponierte Stelle dem rätselhaften Volk als ritueller Platz diente.

Auf dem Weg nach El Purutal

Wir genießen den Ausblick auf die Andenhänge mit den extrem steilen Feldern, zu denen sich von oben Zickzackwege winden. Dann trennen wir uns von den figurenreichen Felsen und dem Ausblick und wandern weiter. Neben Chaquira sind ja noch viele andere Figuren in den Bergen sehenswert. Auf Reit- und Fahrwegen erreichen wir ziemlich erschöpft vom Auf und Ab die Skulpturen, die uns ein Fotograf in seiner Ausstellung in Salento als das Highlight dringend empfohlen hat: El Purutal. An einem Häuschen zahlen wir den Eintritt auf das Privatgelände und kommen zuerst an riesigen Figuren vorbei, deren größte nach Expertenmeinung einen Schamanen in ritueller Versenkung zeigt. Die beiden Skulpturen, deretwegen wir hier raus gelaufen sind, sehen im ersten Moment herrlich aus, weil sich ihre bunte Bemalung erhalten hat. Dann fallen uns die Details auf: Reißzähne, grimmiger Blick und in den Händen ein Messer und kopfüber ein Kind … Opferung durch die „Jaguarmenschen“? Das sind Menschen, die sich halb in ein Tier verwandeln können, was religiösen Führern als Fähigkeit nachgesagt wird. Die beiden Skulpturen stehen jeweils unter einer Art Dach aus Steinplatten. Hinter ihnen haben Archäologen Gräber freigelegt. Die grimmigen Männer bewachen also Tote, mit so einem Aufwand sicher Stammesführer.

Der moderne Steinmetz hält sich an uralte Vorbilder

Chaquira fällt bei den Figuren der so genannten San-Agustin-Kultur ziemlich aus dem Rahmen. Alle anderen, die wir uns in zwei Tagen ansehen konnten, sind meist freistehend, stellen oft Schamanen beim Meditieren oder Opfern dar, manchmal deren fratzenhafte Traumbilder nach dem Genuss von Kokablättern oder auch Tiere, vom Frosch bis zum Adler mit Schlange im Schnabel. Dieser hat es vor allem Jeanette angetan. Leider gab es den nicht in Kettenanhägergröße beim modernen Steinmetz, der am Start der Treppe zu Chaquira runter viele der Figuren in verschiedenen Größen originalgetreu aus Vulkangestein fertigt. Wir werden die Agustin-Figuren trotzdem in lebhafter Erinnerung behalten. Allein schon, weil sie so groß und so detailreich vor kaum vorstellbaren zweitausend Jahren gefertigt wurden. Aber auch, weil wir ihnen auf unserer letzten Etappe in mehr als vier Wochen Kolumbien gegenüber standen. Wenn wir jetzt Shakira irgendwo sehen, denken wir sicher auch an Chaquira.

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