Mit einem unerwarteten Fahrdienst sind wir beim Versuch, günstig zum nächsten Ziel zu gelangen, in unseren ersten Maya-Ruinen gelandet. Der Gegensatz zum lange geplanten Besuch in einer anderen Ruinenstadt ist beträchtlich.

Der Ausblick von „La Ventana“ ist gewaltig. Oscar hat das Auto in einer Kurve angehalten, den Warnblinker angemacht und mich zur Eile ermahnt. „Das Fenster“, ein hoch gelegener Bergrücken, gibt an dieser Stelle den Blick frei auf eine weite, bewaldete Hügellandschaft. „Dort sieht man die Pyramiden“, ruft Oscar durchs Fenster während ich ein paar schnelle Fotos mache. Pyramiden sehe ich nicht. Erst etliche enge Serpentinen später und nach der Fahrt durch die Stadt Ocosingo sehen wir die riesigen Steinstrukturen an einem Hang liegen. Wir sind in der einst mächtigen Maya-Stadt Toniná, was Haus der Steine heißt.

Oscar (l.) lässt uns an der Straße besondere Maiskolben kosten.

Sowohl die Fahrt mit Oscar als auch die Ruinen sind so nicht geplant – was vermutlich genau richtig ist. An unserem bisher einzigen Regentag sind wir in San Cristobal de las Casas zum Busbahnhof gelaufen, um rauszukriegen, wie wir am nächsten Tag weiter ins sechs Fahrstunden entfernte Palenque kommen. Dort stehen die berühmten Maya-Ruinen und der nicht weniger angesagte Wasserfall Agua Azul auf unserem Plan. Nur ist es mit dem Bus nicht so, wie wir es gern hätten: mit Halt in Ocosingo fährt nur empfindlich früh einer und ist nicht billig. Im Reiseführer sind wir eher zufällig auf die Ruinen von Toniná gestoßen, die fast auf dem Weg nach Palenque liegen. Wir würden sie gern sehen. Eine Alternative zum Linienbus könnten Colectivos sein. Diese Minibusse oder Picups mit Bänken und Planen darüber bewältigen in fast jedem Ort den öffentlichen Verkehr, ganz ohne Fahrpläne. Und einige sind auch auf längeren Stecken unterwegs. Mit einmal Umsteigen könnten wir die Strecke schaffen.

Die, die die Hälfte der Strecke bis nach Ocosingo fahren, sollen gleich neben dem Busbahnhof sein. Ein Dutzend Männer steht auf einem mit Autos vollen Platz und schreien um die Wette. Auch unser gesuchter Ortsname ist dabei. Aber vor den Minibussen fangen uns Männer ab, die um Pkws stehen, sie lassen uns einfach nicht vorbei, als wir beim Ruf „Ooocosingoooo“ nicken. Es stellt sich heraus, dass die Typen eine Art Taxi-Unternehmen haben, das auch dorthin fährt, für nur wenige Peso mehr als die engen aber im Vergleich zum Linienbus viel billigeren Minibusse. Und in Ocosingo müssen wir uns dann sowieso einen sicheren Platz für die fetten Rucksäcke und eine Fahrtmöglichkeit zu den abgelegenen Ruinen suchen. Hoffentlich können wir einen Taxifahrer überreden, dort eine Stunde zu warten oder zurück zu kommen – so schlägt es der Reiseführer vor. Während wir im Nieselregen stehen und noch überlegen, taucht Oscar auf. Er ist der Chef der Ferntaxen und ein Geschäftsmann: nach ein paar Minuten hat er uns überzeugt (besser: überredet), uns am nächsten Morgen für einen Aufpreis zu den Ruinen und dann zur Umsteige-Taxistation in Ocosingo zu fahren. Und die Rucksäcke sind die ganze Zeit sicher im Kofferraum des Nissan verstaut.

Mehr als 70 Meter hoch ist die Pyramide von Tonina.

Die am Ende gut fünfstündige Fahrt mit Oscar ist spannend. Als ehemaliger Illegaler in den USA redet er Englisch – und viel. Der studierte Schauspieler (kleinere Rollen hatte er in Soap-Operas) zählt fast ein Dutzend Jobs auf, die er gemacht hat, jetzt halt Taxis und nebenher Vertrieb des Kaffees von Bauern aus Chiapas. Und er erklärt uns viel davon, wie Mexikaner ticken, lacht häufig hält zwischendurch an Straßenständen an, weil wir irgendwelche Früchte und besonders zubereitete Maiskolben nicht kennen. Und er bringt uns sicher nach Toniná. Den Sicherheitsmann am Eingang quatscht er so lange voll, bis er uns drei ohne Eintritt rein lässt – für Oscar eine Art Sport. Seine Begründung: Ihr könnt doch den Deutschen kein Geld abknöpfen, die zu uns kommen und was über die Geschichte Mexikos lernen wollen.

Toniná war um das Jahr 700 eine sehr mächtige Maya-Stadt, hat sogar das 120 Kilometer entfernte Palenque besiegt. Jetzt ist dort eine riesige Pyramide ausgegraben, deren hunderte enge und steile Stufen über mehrere Ebenen 70 Meter zu den Mauern des Herrscherpalastes und den Tempeln für die Götter Sonne und Mond führen. Damit ist Toniná eine der höchsten Maya-Bauten überhaupt. Ohne Absperrbänder kann man überall durch- und hochkraxeln. Der Ausblick von ganz oben ist gigantisch. Für uns aber ist das Schönste: kaum andere Leute klettern in den Steinen herum.

In Ocosingo steigen wir dann doch in ein Colectivo für die letzten drei Stunden Kurvenfahrt durch bergigen Dschungel bis ins Flachland nach Palenque – von Oscars Taxi-Kollegen ist keiner da.

Einer der Innenhöfe im „Palacio“ in Palenque.

Am nächsten Tag lassen wir uns von einem örtlichen Colectivo zum Eingang der Ruinenstadt Palenque fahren. Mit dem einsamen Erkunden der Bauten wird es hier allerdings nichts: Trotz der frühen Stunde drängen sich die Besucher schon auf den Wegen. Aber damit haben schon wir gerechnet. Richtig eng wird es nur an wenigen Stellen oder wenn ganze Busladungen von Touristen ohne Rücksicht auf andere hinter ihren Guides hermarschieren. So sehr wir die Einsamkeit von Toniná vermissen, Palenque hat eindeutig mehr zu bieten. Dort darf man zwar nicht überall hin klettern und überall bieten Souvenirhändler ihren Kitsch an, aber es gibt etliche und ganz verschiedene Ruinen, teils recht gut erhalten, teils mit noch zu ahnenden Stuck-Reliefs, teils nur noch als Mauern zu ahnen. Es ist merkwürdig, oben auf der Kreuz-Pyramide zwischen fotografierenden Leuten zu sitzen und sich vorzustellen, wie es hier einmal ausgesehen hat, als alle Mauern noch standen und zinnoberrote angemalt waren. Vielleicht liegt tief unter uns der vor 1500 Jahren gestorbene Herrscher und Erbauer vieler der Gebäude begraben, er ist bisher nicht gefunden. Und irgendwo hinter den Ruinen toben Brüllaffen durchs Geäst.

Dann gibt es noch etwas abseits Gebäude-Komplexe, von denen nur ein paar zusammengefügte Steine zwischen den Brettwurzeln der Dschungel-Bäume zu sehen sind. Dort im Wald sind nur wenige Touristen und gar keine Händler unterwegs. Hier kann man sich gut vorstellen, was die ersten Ausgräber zu Gesicht bekommen oder mehr geahnt als gesehen haben – und was künftige Forscher noch entdecken können. Wir machen uns nach fünf (!) Stunden voller Eindrücke langsam auf den Rückweg. Zwei sehr verschiedene Maya-Städte haben wir jetzt erlebt, und es sollen nicht die letzten sein.

Ein Kommentar

  1. Liebe Jeanette und lieber Janosch,
    wir lesen immer fleißig Eure Berichte, sind dabei manchmal ein wenig neidisch (außer beim Diebstahl-Versuch natürlich) und freuen uns viel mehr mit Euch über die tolle Reise.

    Seid lieb gegrüßt
    von Wenke und den Behms

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