Lange und bucklige Schotterpassagen auf den Straßen in Patagonien zollen nicht nur dem Auto Tribut. Beim Fahren – so spannend es auch ist – schwingen immer auch Ängste mit.
Der feine Schicht ist einfach überall. Selbst das Geschirr in den verschlossenen Schubladen hinten unterm Bett hat eine graue Patina, sieht wie schnell gealtert aus. So richtig dicht ist das Auto also doch nicht. Im Regen kam gar nichts rein, aber nach 160 Kilometern auf Schotterpisten ergibt sich offenbar jede Dichtung dem permanenten Staub.
Wir haben von El Chalten aus einen Tag zum ordentlich Strecke machen eingelegt, um aus der nicht gerade spannenden argentinischen Pampa bald wieder in die Berge und zurück nach Chile zu kommen. Nach knapp über 600 Kilometer biegen wir in Lago Pasados auf den Zeltplatz ein, einem Nest im nirgendwo, 80 Schotterkilometer vom nächsten Dorf und 60 von der Grenze entfernt. Den größten Teil der Strecke haben wir auf der berühmten Ruta 40 zurückgelegt, der Hauptstraße in den argentinischen Teil Patagoniens.
Inzwischen ist die Straße durch die meist flache, wie eine Halbwüste aussehende Pampa asphaltiert. Das denken wir jedenfalls, bis der Camper plötzlich einen Satz macht und unsanft auf kleinen runden Steinen landet und eine Staubwolke aufwirbelt. Die Staubwolke und gegen den Wagenboden krachende Steine bei rasanten 40 km/h begleiten uns gut 90 Kilometer bis plötzlich wieder Asphalt unter den Reifen surrt.
Auf der Ruta 40 kommt uns immer mal eine fette, ockergraue Wolke entgegen, die ein Auto oder Motorradfahrer aufwirbeln. Die erstaunlich vielen Radfahrer sind tapfer und ganz wolkenlos im Kies unterwegs. Die Fenster des Autos sind trotz der Wärme fest geschlossen, werden nur für Fotos von Guanacos, Nandus oder einem Gürteltier runtergekurbelt. Aber die volle Pulle laufende Lüftung reicht auch für den Staubfilm. Das Fahren macht nach der ersten Gewöhnung nicht gerade Spaß. Aber das Auto rauscht durch Passagen mit buckligen Steinen wie eine löchtige Kopfsteinpflasterstraße, durch gefühlt 20 Zentimeter tiefen Kies und über in der Sonne hart gebackene, von Rillen zerfurchte Erde. Aber ich trete bewusster aufs Gas und wir kommen vorwärts. Das Material von Reifen über Lenkung und Aufhängung bis zur Federung wird einer heftigen Prüfung unterzogen. Einen Gedanken an einen möglichen Schaden an einem Reifen oder am Auto verschwende ich nur kurz. Alle paar Minuten kommt ein Auto, dass einem im Notfall helfen kann.
Dann biegen wir in die letzte Tankstelle auf unserer Ruta-40-Fahrt. Erst da bemerke ich die rot leuchtenden Hände. Die waren beim stets festen Griff ums Lankrad offenbar immer in der Sonne und haben einen schönen Sonnenbrand abgekriegt. Hoffentlich verhindert die – zu spät – draufgeschmierte Sonnencreme noch Schlimmeres. Auch die Nase leidet, riecht nur noch den leicht scharfen Staub. Zwischen den Zähnen knirschen feine Körnchen. Da hilft nur, kaltes Bier zur Belohnung nach den noch folgenden 78 schottrigen Kilometern mitzunehmen. Auf der gesamten, deutlich schmaleren „Straße“ Ruta 37,, die der Camper nun vorwärts hüpft und schlingert, begegnet uns genau ein Auto. Jetzt kann ich die Befürchtung kaum noch unterdrücken, was wir machen, wenn das Auto jetzt kaputt geht, ewig weit vom nächsten Dörfchen weg, nur rudimentäres Werkzeug an Bord, kein ADAC, Null Handyempfang, bruchstückhaftes Spanisch, falls mal jemand vorbei kommt. Ich fühle mich sogar von den Guanakos am Straßenrand mitleidig beobachtet.
Vermutlich würde sich im Notfall, wie immer in Südamerika, eine ganz einfache Lösung finden, aber die Gedanken sind trotzdem belastend. Ich fahre vorsichtshalber sogar nur noch 30. Als nach fast zwei einsamen Fahrstunden in der Ebene die in Reih und Glied gepflanzten Bäume auftauchen, die hier ein Zeichen menschlicher Behausungen sind, fällt eine Last von mir.
Ohne den Hauch einer Panne und mit den schnell abfallenden umsonst gemachten Sorgen kommen wir auf dem erstaunlich grünen Zeltplatz an, bugsieren das ergraute Auto in den Windschatten hinter eine Reihe junger Pappeln. Und als erstes machen wir das Bier auf, dass die Rüttelei im Minikühlschrank hinten neben den Schubladen mit ergrauten Tassen und Tellern gut und kalt überstanden hat. Dann stellt der Platzwart für uns einen Rekord auf, indem er uns 2500 Peso abknöpft – so billig wie diese umgerechnet 2,78 Euro, war bei all unseren Reisen noch nie ein Zeltplatz. Zum Abendessen finden wir uns um halb neun mit einigen Einheimischen in der kleinen Bäckerei ein, die Empanadas, Pizza und Schnitzel vom Huhn im Angebot hat. Um halb acht sind wir schon mal da reingestolpert, da hat uns die Chefin wieder rausgeschickt, weil das unfassbar früh für Abendessen in Südamerika ist. Wohlig gesättigt und richtig geschafft, klettern wir im letzten Tageslicht in den Camper. Morgen geht es – natürlich auf Schotterpisten – über einen winzigen Übergang zurück nach Chile, wo dann wieder wie auch immer geartete Straßen gen Norden führen.
NACHTRAG: Inzwischen sind Staub und Schotterstrecken Alltag. In Chile sind fast 500 Kilometer dazugekommen. Anders fährt es sich aber trotzdem. Auf der berühmten Ruta 7, Careterra Austral, übersetzt Straße des Südens, geht es durch die südlichen Ausläufer der Anden. Die Piste geht fast immer steil hoch oder runter, um scharfe Kurven voller ekliger Rillen im Kies oder über einspurige Brücken, über reißende Flüsse, von denen aus man Gletscher sieht. Jeanette auf dem Beifahrersitz ruft Ahs und Ohs und immer mal unvermittelt „Halt!“, wenn sie was fotografierwürdiges entdeckt hat. Zum Glück greifen die Bremsen gut.
Da ich im Grunde und trotz der Angst vor Pannen solche Pisten mag, genieße ich sie inzwischen auch. Jeden Abend an den Stell- oder Zeltplätzen ziehen wir erst mal alle Schrauben an den seitlichen Zusatzfenstern nach, spülen uns den Staub aus Gesicht und Nase und cremen die Hände ein. Bisher sind wir schadlos über alle Buckelpisten gerattert. Aber noch ist kein Asphalt in Sicht.
0 Kommentare